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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Autoren: Hannah Arendt
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Strafbares getan hätte, daß die inkriminierten Handlungen nicht Verbrechen gewesen seien, sondern »Staatshandlungen, über die keinem anderen Staat Gerichtsbarkeit zusteht« ( par in parera Imperium non habet ), daß es seine Pflicht gewesen sei, zu gehorchen, und daß er, wie Dr. Servatius es in seinem Plädoyer zur Schuldfrage ausdrückte, getan habe, was seinerzeit als Tugend, doch nun »dem Sieger als Verbrechen« galt: »Galgen oder Orden, das ist die Frage.« (In diesem Sinne hatte bereits Goebbels im Jahre 1943 erklärt: »Wir werden als die größten Staatsmänner aller Zeiten in die Geschichte eingehen oder als ihre größten Verbrecher.«) Außerhalb Israels (auf einer Konferenz der Katholischen Akademie in Bayern über das, laut »Rheinischem Merkur«, »heikle Thema« der »Möglichkeiten und Grenzen für die Bewältigung historischer und politischer Schuld in Strafprozessen«) ging Servatius einen Schritt weiter; er erklärte, »das einzige legitime Strafprozessual des Eichmann-Prozesses sei die bislang unterbliebene Aburteilung seiner Entführer«, eine Stellungnahme, die übrigens schwer in Einklang zu bringen ist mit seinen wiederholten und weit publizierten Äußerungen in Israel, in denen er die Prozeßführung »eine großartige geistige Leistung« nannte, die sich vorteilhaft von den Nürnberger Prozessen unterscheide.
    Eichmanns eigene Haltung war anders. Vor allem sei die Anklage wegen Mordes falsch: »Ich hatte mit der Tötung der Juden nichts zu tun. Ich habe niemals einen Juden getötet, aber ich habe auch keinen Nichtjuden getötet – ich habe überhaupt keinen Menschen getötet. Ich habe auch nie einen Befehl zum Töten eines Juden gegeben, auch keinen Befehl zum Töten eines Nichtjuden … Habe ich nicht getan.« Später kam er darauf noch einmal zurück: Es habe sich eben so ergeben, daß er es niemals tun mußte, denn er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß er seinen eigenen Vater getötet hätte, wenn es ihm befohlen worden wäre. In endlosen Wiederholungen erklärte er, was man bereits aus den sogenannten Sassen-Dokumenten wußte – dem Interview, das er 1955 in Argentinien dem holländischen Journalisten und ehemaligen SS-Mann Sassen gegeben hatte und das nach Eichmanns Gefangennahme auszugsweise in »Life« und im »Stern« veröffentlicht wurde: Man könne ihn nur anklagen der »Beihilfe« zur Vernichtung der Juden, die er in Jerusalem »eines der kapitalsten Verbrechen innerhalb der Menschheitsgeschichte« nannte. Die Verteidigung kümmerte sich nicht weiter um Eichmanns Theorien, aber die Anklage verschwendete viel Zeit an einen erfolglosen Versuch, Eichmann zu überführen, wenigstens einmal mit eigenen Händen getötet zu haben. (Warum dem Staatsanwalt so viel daran lag, diesen Mord zu beweisen, blieb unklar. Es handelte sich um einen jüdischen Jungen in Ungarn, der im Garten bei einem Obstdiebstahl erwischt worden war. Hausher, von Harry Mulisch, dem Verfasser von »Strafsache 40/61«, befragt, »was an dieser Geschichte wahr sei«, erwiderte, »er werde sie ›mit Gottes Hilfe‹ beweisen«; wäre es ihm gelungen, so hätte er Eichmann eines Verbrechens überführt, auf das in Israel nicht die Todesstrafe steht, denn er hätte ja kaum nachweisen können, daß dieser Mord mit der Absicht begangen wurde, das jüdische Volk auszurotten.) Vermutlich wollte der Staatsanwalt zeigen, daß Eichmann auch ohne Befehl mordete – daß er auf Befehl gemordet hätte, hatte er ja selbst zugegeben – und daß es ihm daher zuzutrauen war, Mordbefehle auf eigene Faust zu erteilen. Und mit dem Nachweis eines solchen Mordbefehls hatte die Anklage mehr Erfolg. Es handelte sich um eine Notiz, die Franz Rademacher, Judenreferent im Auswärtigen Amt, während eines Telefongesprächs über Judenaktionen in Jugoslawien auf den Rand eines Telegramms gekritzelt hatte: »Eichmann schlägt Erschießen vor.« Es stellte sich heraus, daß dies der einzige »Mordbefehl« war, für den man wenigstens die Spur eines Beweises hatte.
    Aber der Beweis war weniger stichhaltig, als es während des Prozesses aussah. Die Richter schlossen sich der Version des Anklägers an, trotz Eichmanns kategorischem Leugnen, das nicht gerade überzeugend wirkte, da er, wie Servatius es formulierte, den »kurzen Vorfall [nur achttausend Menschen]« ganz vergessen hatte. Der Vorfall ereignete sich im Herbst 1941, sechs Monate nachdem die Wehrmacht den serbischen Teil Jugoslawiens besetzt und sich nun dauernd mit
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