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Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter
Autoren: Rose Gerdts
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begann Navideh vorsichtig.
    Steenhoff spürte, dass in dem Satz mehr Botschaften steckten, als Navideh im ersten Anlauf sagen wollte. Aufmerksam hörte er zu.
    «Das Blockland ist nur wenige Kilometer vom Zentrum entfernt, aber hier gelten völlig andere Regeln. Die Bauern müssen ihre Häuser nicht verriegeln und ihre Räder auf dem Hof nicht abschließen. Vermutlich gab es hier in den letzten 50   Jahren kein einziges Gewaltverbrechen.»
    Steenhoff wollte widersprechen, aber er beschloss, weiter zuzuhören.
    «Das hier ist also auch eine Art von Parallelwelt, aber eine ganz andere. Alles, was ich sonst kenne, scheint hier irreal. Wie im Traum», fuhr Navideh fort. Sie strich ihre langen schwarzen Haare zurück und schaute ihn an.
    Steenhoff legte den Arm um sie. «Wie in dieser Grube. Habe ich recht?»
    «Ja, das war außerhalb dieser Welt.»
    «Fast als hätte es nie stattgefunden.»
    «Ja», antwortete sie tonlos. «Fast als hätte es nie stattgefunden.»
    Er beugte sich vor, strich ihr über das Gesicht und küsste sie auf die Lippen. Beide schlossen die Augen und gaben sich ganz dem Augenblick hin.
    Plötzlich spürte Navideh, wie sich Steenhoff sanft von ihr löste. «Für einen Mann küsst du verdammt gut», sagte sie, nur um etwas zu sagen und um ihre Verlegenheit zu überspielen.
    Seine Augen blitzten amüsiert auf. Doch schnell wurde er wieder ernst. «Navideh, wenn wir hier weitermachen   …» Er stockte. «Ira bedeutet   –»
    «Ja, ich weiß», unterbrach sie ihn schnell. «In Wirklichkeit stehe ich auch gar nicht auf Männer.»
    Er sah sie skeptisch an.
    «Außer sie haben Humor, Herz und Esprit.»
    Er zuckte die Schultern. «Und welcher Mann hat das schon?»
    «Eben.»
    «Außerdem möchte ich mir weiter mit dir und dem Benjamini unser winziges Büro teilen.»
    «Dann ist also alles klar.»
    Es war mehr eine Frage als eine Feststellung.
    «Ja. Alles klar.»
    Sie nahm seine Hand und zog ihn von der Bank hoch. Hand in Hand liefen sie den Deich hinunter. Als sie einer Pfütze in der Mitte des schmalen Fahrwegs ausweichen mussten, ließen sie sich los.
    Nachdem sie das Hindernis umrundet hatten, machte keiner von beiden Anstalten, die Hand des anderen wieder zu ergreifen.

24
    Am nächsten Morgen wurde Navideh kaum wach. Der Wecker schrillte in ihrem Ohr, aber sie brauchte lange, um aus ihrer Benommenheit herauszufinden.
    Mühsam richtete sie sich im Bett auf. Auf ihrem Schlafzimmerboden häuften sich Pullover, Strümpfe und zwei Paar Jeans. ‹Ich muss dringend aufräumen›, dachte sie verstimmt. In den vergangenen Tagen war sie nur zum Schlafen in ihre Wohnung zurückgekehrt.
    Navideh schaute auf die Uhr. Es war zehn. Der Müdigkeit in ihren Knochen zufolge hätte es genauso gut erst sechs Uhr morgens sein können. Unter äußerster Willensanstrengung schlug sie die Bettdecke zurück und quälte sich aus dem warmen Bett.
    Sofort kam ihr Frank Steenhoff in den Sinn. Entschlossen schob sie den Gedanken beiseite. Er war eine pikante Fußnote in ihrer persönlichen Liebesbiographie. Mehr nicht.
    Sie trat gegen einen Haufen Kleidung, der direkt vor der Tür lag. ‹Als ich noch mit Vanessa zusammen war, habe ich mich nicht so gehenlassen›, dachte sie missmutig.
    Erst als sie mit nassen Haaren aus der Dusche zurückkehrte, fiel ihr Blick auf das Handy. Jemand hatte ihr nachts eine SMS geschrieben. Gespannt öffnete sie die Nachricht.
    Aber es war nicht Steenhoff, sondern Jorges. Verblüfft las sie die Zeilen.
    «Hallo Navideh. Bin auf dem Weg nach Berlin. Saliha ist bei mir. Macht euch keine Sorgen. Ich passe auf sie auf.»
    Navideh starrte auf das Display und las die Nachricht mehrmals, bevor sie überzeugt war, wirklich verstanden zu haben, was Jorges ihr da geschrieben hatte. Saliha war bei ihm! Ein 1 4-jähriges Mädchen!
    Sie musste an die Frau denken, die Jorges am Sodenmattsee nach einer Taxifahrt angeblich fast vergewaltigthätte. Sofort bereute sie den Gedanken. Die Ermittler hatten herausgefunden, dass Gabriele Koch in den vergangenen Jahren nicht nur zweimal länger in der Psychiatrie behandelt worden war, sondern auch den Blutverdünner Marcumar einnahm. Somit hätte sie sich die blauen Flecken leicht selbst zufügen können. Navideh war erleichtert gewesen, als Jorges ihr davon berichtete, obwohl es natürlich noch nichts bewies. Aber sie persönlich brauchte auch keine Beweise mehr. Etwas in ihr wusste, dass Jorges kein gewalttätiger Mann war. Dafür hatte sie zu viele dieser Männer
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