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Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter
Autoren: Rose Gerdts
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Begegnung mit seiner Schwester hinter der Gardine sagte er nichts. Dafür berichtete er den Beamten, wie sie Saliha aufgespürt hatten. «Wir haben all unseren Bekannten und Nachbarn gesagt, dass Saliha sich aus Kummer über den Tod ihrer Schwester umbringen will und wir sie unbedingt finden müssen. Die Nachricht hat sich wie ein Lauffeuer im Stadtteil herumgesprochen. Eine Kundin aus unserem Gemüseladen hat sie dann gesehen, wie sie vor der Schule stand, und uns sofort benachrichtigt.»
    Kemal Cetin sollte noch weiter festgehalten werden. Steenhoff wollte ihn nicht wieder auf freien Fuß setzen, bevor sie Saliha gefunden hatten. Aber er wusste, dass er den Mann spätestens am Ende des nächsten Tages wieder freilassen musste.
    «Wir müssen unbedingt Saliha finden», sagte Petersen angespannt. «Jetzt ist sie völlig auf sich allein gestellt.»
    Steenhoff nickte. Die Suche nach dem Mädchen lief auf Hochtouren. Früher oder später würde man sie in dieser Nacht finden. Vermutlich irrte sie unter Schock in der Gegend herum. Doch gleichgültig, ob sie nach Hause fuhr, zum Krankenhaus, zu ihrer Lehrerin oder zum Bahnhof – überall wurde sie schon erwartet.
    «Es ist eine Frage von zwei, drei Stunden – dann haben wir sie», beruhigte Steenhoff seine Kollegin und sich selbst.
     
    Roman war, nachdem er mit seinem Vater aus dem Haus gerannt war, nach einer Stunde wieder zurückgekehrt. Wie seine Mutter wirkte er völlig verstört auf Block und Wessel. Er hatte eins und eins zusammengezählt, aber er konnte das Offensichtliche nicht begreifen. Mühsam berichtete er den Beamten, was passiert war, nachdem sich Saliha in der Abstellkammer versteckt hatte. Als er zu der Szene kam, wie seine Mutter Nilgüns Ohrring in der Hand hielt, brach seine Stimme.
     
    Steenhoff und Petersen verzichteten darauf, Roman in der Nacht ein weiteres Mal zu vernehmen. Stattdessen fuhren sie ins Krankenhaus. Wie sich herausstellte, hatte Klaus Rodewaldt tatsächlich einen Herzinfarkt erlitten, aber zugleich viel Glück dabei gehabt.
    Die Medizinerin vertröstete die Beamten auf den nächsten Tag. «Morgen Vormittag können Sie ihn das erste Mal sprechen. Aber nur kurz.»
    Müde verließen sie das Krankenhaus. Der Parkplatz der Klinik lag wie ausgestorben vor ihnen.
    Navideh lehnte sich gegen das Dienstauto und vergrub die Hände in ihrer Lederjacke. Steenhoff blieb vor ihr stehen und musterte sie. «Was ist? Was denkst du?»
    «Ich verstehe nicht, was Klaus Rodewaldt zu dieser furchtbaren Tat getrieben hat? Warum bringt er die schwangere Freundin seines Sohnes um?»
    «Morgen früh werden wir es erfahren. Jetzt ist erst mal wichtig, dass Saliha wiederauftaucht. Wenn sie morgen früh noch nicht da ist, lassen wir öffentlich nach ihr fahnden.»
    Navideh nickte. Sie ging ums Auto herum und wollte sich auf den Beifahrersitz setzen, aber Steenhoff warf ihr den Schlüssel zu.
    «Tu mir den Gefallen und fahr du zurück ins Präsidium.»
    Schweigend ließ Navideh das Auto an. Kurz vor der Autobahnabfahrt zur Uni sagte sie plötzlich: «Ich bin völlig ausgelaugt und aufgekratzt zugleich. Wie wär’s mit einem kleinen Spaziergang im Blockland?»
    Steenhoff sah sie überrascht an. Doch er fasste sich schnell wieder. «Drei Uhr morgens», stellte er mit einem Blick auf seine Uhr fest. «Ideale Zeit, um die Otter in der Wümme zu beobachten.»
     
    Eine Viertelstunde später parkte Navideh das Auto an einem Ausflugslokal an der Wümme. Steenhoff schaute prüfend in den Himmel.
    «Der Sternenhimmel sieht auf dem Land immer ganz anders aus als über der Stadt.»
    «Ich habe hier schon mal nachts das Nordlicht über dem Fluss gesehen. Das war außerirdisch schön», schwärmte Navideh.
    «Du bist öfter hier?»
    «Ja.»
    «Aber doch nicht nachts?», fragte Steenhoff besorgt.
    «Doch, auch nachts.»
    Steenhoff schüttelte verwundert den Kopf.
    «Du lebst doch auch relativ abgelegen, mitten im Moor», sagte Navideh.
    Sie schloss den Wagen ab und ging auf den kleinen geschwungenen Deich zu, der die Gehöfte und die weiten Felder vor der Wümme schützte. Steenhoff folgte ihr. Lange sagte keiner von beiden ein Wort. Schließlich steuerte Navideh eine alte Holzbank auf dem Deich an. Sie setzten sich. Wie ein dunkles Band wand sich der kleine Fluss durch die Schilflandschaft. Enten flogen schnatternd auf. Dann hörten sie wieder nur das Glucksen des Flusses.
    «Dies ist meine andere Welt. Sie hat nichts mit dem zu tun, was ich tagsüber in Bremen erlebe»,
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