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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten
Autoren: Dirk Reinhardt
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die Gestapo in den Untergrund gegangen waren. 1954 beantragte seine Mutter beim Kölner Regierungspräsidenten die Anerkennung ihres Sohnes als politisch Verfolgter. 1962 lehnte die Behörde den Antrag mit der Begründung ab, es habe sich bei den Edelweißpiraten lediglich um eine »Verbrecherbande« gehandelt. Bei dieser Einschätzung berief sie sich auf Zeugenaussagen der ehemaligen Gestapobeamten Hirschfeld und Hoegen, während den Aussagen überlebender Edelweißpiraten keine Bedeutung beigemessen wurde.
    Erst 1978 begann die Rehabilitierung der Edelweißpiraten, als das Magazin »Monitor« in einem Beitrag daraufhinwies, dass Bartholomäus Schink in den Gerichtsakten immer noch als »Krimineller« geführt werde. In Ehrenfeld bildete sich daraufhin eine Bürgerinitiative, um diese Einschätzung zu korrigieren. Lieder und Theaterstücke entstanden, und auch die ersten wissenschaftlichen Arbeiten über die Edelweißpiraten wurden veröffentlicht. 2
    1984 beantragte der SPD-Abgeordnete Albert Klütsch im Düsseldorfer Landtag, die Edelweißpiraten offiziell als Widerstandskämpfer anzuerkennen. Der damalige Innenminister Herbert Schnoor gab daraufhin bei dem Historiker Peter Hüttenberger ein Gutachten in Auftrag. Bernd Rusinek, Doktorand Hüttenbergers, veröffentlichte die betreffende Studie 1988 und kam zu dem Schluss, die Edelweißpiraten seien zwar keine Kriminellen, aber auch keine »echten« Widerstandskämpfer gewesen. Dieses Urteil empfanden viele ehemalige Edelweißpiraten, die den Krieg und die Verfolgung durch das NS-Regime überlebt hatten, als Diskriminierung.
    Wie also sind die Edelweißpiraten tatsächlich einzuschätzen? Klar ist: Sie hatten weder eine umfassende politische Vision wie die Verschwörer des 20. Juli noch waren sie Intellektuelle wie die Angehörigen der Weißen Rose noch politisch organisiert wie die Mitglieder des kommunistischenWiderstands noch verfügten sie über die moralische Autorität eines Dietrich Bonhoeffer oder eines Kardinal von Galen. Aber wie sollte man etwas Derartiges auch von ihnen verlangen? Sie waren einfache Arbeiterjugendliche, die zumeist aus zerrissenen Familien stammten, gerade einmal acht Jahre zur Volksschule gegangen waren und schon mit 14 in die Mühlen der Kriegswirtschaft gerieten. Woher sollten sie über ein entwickeltes politisches Bewusstsein verfügen? Sie hatten nichts weiter als ihren gesunden Menschenverstand und ihr elementares Gefühl von Gut und Böse, Recht und Unrecht.
    Zu Beginn waren die meisten von ihnen daher keine politischen Widerstandskämpfer. Sie wollten nur ihre Freiheit, wollten sich nicht herumschubsen lassen, wollten selbst über ihr Leben bestimmen und tun, wozu sie Lust hatten. Ihre Rebellion galt anfangs nicht den Nazis, sondern allen Autoritäten, von denen sie sich unterdrückt und eingeengt fühlten. Aber darüber gerieten sie zwangsläufig in Konflikt mit den Institutionen des NS-Regimes. Und an diesem Punkt setzte bei vielen von ihnen ein politischer Bewusstwerdungsprozess ein. Sie erkannten das Unrecht, das sie umgab, und wandten sich dagegen.
    Wohlgemerkt: Das gilt nicht für alle. Denn »die« Edelweißpiraten gab es nicht. Es handelte sich nicht um eine klar umrissene Organisation mit Satzung und Manifest, sondern um viele Hunderte kleiner lokaler Gruppierungen, von denen jede ihre eigene individuelle Entwicklung nahm. Manche fanden nie zu politischem Widerstand und blieben in ihrem eher indifferenten Stadium der jugendlichen Auflehnung verhaftet. So wandten sich denn auch einige von ihnen nach dem Krieg mit der gleichen Schärfe gegen die Institutionen der Besatzungsmächte, wie siees zuvor gegen die Institutionen der Nationalsozialisten getan hatten.
    Andere aber – und von ihnen handelt dieses Buch – entwickelten im Lauf der Zeit ein politisches Bewusstsein, das nicht durch theoretische Überlegungen, sondern durch praktische Erfahrungen gespeist war. Sie erfassten den Unrechtscharakter des nationalsozialistischen Regimes und gingen von da an in ihrem Tun über bloße Renitenz und Auflehnung gegen Autoritäten hinaus. Man denke an die Aktionen, die die oben genannten Autoren in ihren Lebenserinnerungen schildern. Oder an jenes Flugblatt Wuppertaler Edelweißpiraten vom September 1942, das zur ersten großen Razzia gegen die Bewegung führte. Es trug die Überschrift »An die geknechtete deutsche Jugend« und enthielt das Gedicht: »Einst wird kommen der Tag, wo wir wieder frei, unsere Ketten entzwei. Wo wir
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