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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten
Autoren: Dirk Reinhardt
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Erinnerung nicht kaputtzumachen.
    Ein paar Minuten werden wir noch bleiben, dann müssen wir los. Ehrlich gesagt hab ich Angst davor. Die Jahre, die hinter uns liegen, waren schrecklich – und doch so unglaublich schön. Sie werden nie wiederkommen, und in dem Augenblick, in dem wir den See verlassen, sind sie endgültig dahin.
    Denn hier ist es gewesen. Hier, an diesem Ort, haben wir sie gefunden. In ihrer reinsten und edelsten Form, wie sie nur in den dunkelsten Zeiten zum Vorschein kommt:
    Unsere Freiheit.

Nach wort
    »Diese Jugendlichen im Alter von 12–17 Jahren flegeln sich bis in die späten Abendstunden mit Musikinstrumenten und weiblichen Jugendlichen hier herum. […] Es besteht der Verdacht, daß diese Jugendlichen diejenigen sind, welche die Wände in der Unterführung an der Altenbergstraße beschreiben mit ›Nieder mit Hitler‹, ›Das OKW lügt‹, ›Orden und Ehrenzeichen für das große Morden‹‚ ›Nieder mit der Nazi-Bestie‹ usw. Diese Anschriften können so oft beseitigt werden, wie man will, innerhalb weniger Tage sind die Wände wieder neu beschrieben. […] Trotzdem den Jugendlichen der verbotene Aufenthalt in den späten Abendstunden im Ostpark bekannt ist, erscheinen diese immer wieder und zwar durchweg gegen Wochenende. Neben der nächtlichen Ruhestörung legen sie auch ein herausforderndes Benehmen an den Tag. Die Anwohner beschweren sich hierüber mit Recht. Es muß in dieser Angelegenheit unbedingt etwas unternommen werden und bitte ich, geeignete Maßnahmen gegen dieses Gesindel zu ergreifen.«
    Mit diesem »Hilferuf« wandte sich am 17. Juli 1943 der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Düsseldorf-Grafenberg an die Gestapo und forderte ein härteres Vorgehen gegen oppositionelle Jugendliche, die der Bewegung der »Edelweißpiraten« angehörten. Im gesamten Rhein-Ruhr-Gebiet waren diese Jugendcliquen während des Zweiten Weltkriegs verbreitet, zahlenmäßig am stärksten in Köln, aber auch in Düsseldorf, Wuppertal, Essen, Dortmund,Duisburg und vielen anderen Städten konnte man sie antreffen. HJ, SS und Gestapo führten einen regelrechten Kleinkrieg gegen sie, bekamen sie aber nie wirklich unter Kontrolle. Wie viele Jugendliche insgesamt der Bewegung angehörten, lässt sich heute nur noch schätzen; in den letzten Kriegsjahren dürften es aber mit Sicherheit mehrere Tausend gewesen sein.
    So sind die Figuren im vorliegenden Buch, die Jugendlichen um Gerle und Flint, zwar erfunden, aber nur bis zu einem gewissen Grad, da sie den »realen« Edelweißpiraten ähneln. Das Gleiche gilt für ihre Erlebnisse, die sich an dem orientieren, was ehemalige Mitglieder der Bewegung – zum Teil viele Jahrzehnte später – in ihren Lebenserinnerungen niedergeschrieben und in Gesprächen erzählt haben. Das harte Los der Arbeiterjugendlichen in der HJ, die heimlichen Treffen in den Parks wie dem Kölner Volksgarten, die Wochenendfahrten ins Grüne und zum Felsensee, die Schlachten mit der HJ, die Nachstellungen durch den Streifendienst, das Anbringen von Parolen an Hauswänden und Mauern, das Verteilen von Flugblättern, die Verhöre und Folterungen durch die Gestapo, etwa durch Hoegen und Kütter im Kölner EL-DE-Haus, das Abtauchen in die Illegalität und schließlich das Verüben von Anschlägen mit Hilfe von Schusswaffen und Sprengstoff – all das beschreiben ehemalige Edelweißpiraten in ihren Autobiographien. 1 Daneben wurden für das vorliegende Buch zahlreiche weitere Quellen herangezogen, neben der wissenschaftlichen Literatur u. a. Archivmaterialien, zeitgenössische Tagebuchaufzeichnungen und Zeitungsartikel.
    Die Geschichte der Edelweißpiraten war mit dem Jahr 1945 allerdings nicht beendet. Zwar lösten sich die Cliquen nach Kriegsende überwiegend auf und spielten keine große Rolle mehr. Aber die Art und Weise des Umgangs mit ihnen wirft ein bezeichnendes Licht auf das Geschichtsverständnis in der Bundesrepublik und seine Wandlungen. Bis in die 70er und sogar 80er Jahre herrschte die Ansicht vor, die Edelweißpiraten seien keine Oppositionellen oder gar Widerstandskämpfer gewesen, sondern lediglich jugendliche Kriminelle und Unruhestifter. Typisch für diese Sichtweise ist der Verlauf des Entschädigungsverfahrens Bartholomäus Schink.
    »Barthel«, wie seine Freunde ihn nannten, wurde am 10. November 1944 im Alter von 16 Jahren in der Hüttenstraße am Ehrenfelder Bahnhof öffentlich gehängt – zusammen mit fünf anderen Edelweißpiraten, die aufgrund der Verfolgung durch
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