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Echtzeit

Echtzeit

Titel: Echtzeit
Autoren: Sarah Reitz
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und begann die ersten Akkorde zu zupfen. »Kennst du den Song? Ohne Dich ?«
    »Klar Selig . Hammerband, Hammersong. Du fängst an, dann ich und den Rest zusammen?« Er nahm noch einen Schluck aus seiner Bierdose und sah sie erwartungsvoll an. Nina nickte nur und grinste. Sie konnte es kaum noch abwarten, zu erfahren, wie seine Singstimme sich anhörte. Vor lauter Aufregung kam sie aus dem Takt, als sie die ersten Akkorde schlug und Lolli stupste sie kurz an. Tom begann zu schnipsen, dann passte es und sie sang die erste Strophe. »Langeweile besäuft sich …«
    Erst als sie ihren Part beendet hatte, sah sie kurz zu ihm. Seine Augen funkelten in dem schwachen Licht der Taschenlampen. Wie gebannt starrte er sie an, doch er verpasste seinen Einsatz nicht. Er sang so unfassbar tief und sanft. Sie versank schier in seinem brummenden Bariton und blendete alles um sich herum aus. Vor lauter Faszination ließ sie ihn den Refrain allein singen. Jeder einzelne Ton brachte ihr Herz zum Stolpern und das Prickeln auf ihrer Haut war zurück. Auch die zweite Strophe begann er allein, doch jetzt verspürte sie den unbändigen Drang, mit ihm zu singen. Sie wollte wissen, wie sich ihre Stimmen zusammen anhörten. Der erste Ton verließ ihren Mund, für einen kurzen Moment setzte die Melodie aus und Nina vernahm ein anerkennendes Zischen von Lolli, bevor er weiterspielte. Die restlichen Gespräche um sie herum verstummten nach und nach. Alles schien sich nur noch um dieses eine Lied zu drehen.
    Ja, sie liebte diesen Song. Sie liebte dieses Lied abgöttisch und die Band ebenso, aber das, was gerade hier passierte, war einfach unbeschreiblich. Ihr Gesang harmonierte so unfassbar gut mit seiner Stimme, dass dieses Lied in eine andere Sphäre gehoben wurde. Nichts war mehr wichtig. Sie spielte ihre Akkorde wie von selbst, sang die Töne nur noch nach Gefühl. Die Melodie von Lolli war lediglich schmückendes Beiwerk. Vollends tauchte sie in diesen Moment, in diesen Song und in seine Stimme ein. Ließ sich aufsaugen von ihrem Gefühl und schwebte nur noch dahin. Dafür lebte sie – für solche Empfindungen und für diese Musik.
    Ihre Blicke fixierten sich noch lange, nachdem der letzte Akkord verklungen war. Das Schweben schien gar nicht enden zu wollen. Selbst den begeisterten Applaus ihrer Freunde nahm sie kaum wahr.
    »Wow!«, stieß Lolli aus. »Echt Mann, was immer da zwischen euch abgeht … Aber das war grad mal der Oberhammer. Wahnsinn! Wirklich krass, Alter.« Er stand auf und schlug in Toms Hand ein. Lolli war in solchen Situationen immer sehr euphorisch. Er lebte die Musik genauso wie sie es tat und wenn jemand verstand, was hier passiert war, dann er. »Ich muss mein Aufnahmegerät suchen. Ihr beide seid echt …« Er schüttelte den Kopf und rauschte ab in sein Zelt, um sich auf die hoffnungslose Suche nach seinem Diktiergerät zu machen.
    »Er hat recht«, stimmte Nina leise zu, »das war wirklich krass.«
    Tom lächelte und schlürfte gespielt gelassen den letzten Schluck Bier aus seiner Dose.
    »Willst du auch noch eins?«, fragte er und sie nickte nur.
    Sie war immer noch vollkommen benebelt von ihrer gemeinsamen Gesangseinlage und ihn schien die Nummer auch nicht kalt gelassen zu haben. Er zeigte es zwar nicht direkt, aber seine Blicke sprachen Bände. Stumm hielt er ihr ein neues Bier hin und setzte sich auf die nun freie leere Bierkiste neben ihr. Die Dosen zischten, als sie sie öffneten. Vorsichtig stießen sie an. Auch nach ihren ersten Schlucken schwiegen sie – der Song hallte noch immer nach.
    »Du hast eine tolle Stimme«, bemerkte er schließlich, »ich hab sie vorhin schon gehört. Du fühlst, wenn du singst.«
    Wieder schoss ihr die unberechenbare Röte ins Gesicht. »Ich kann das nur zurückgeben. Du singst wirklich toll. Ich …« Ihr fehlten die Worte, denn wieder sah er sie mit diesem unfassbaren Blick an.
    Seine Augen waren so dunkel, wirkten so gefährlich und dennoch vermittelten sie Wärme und Sicherheit. Er brach ihren Blickkontakt ab und betrachtete jetzt ihre Gitarre.
    »Wie lang spielst du schon?« Erneut nahm er einen Schluck Bier und ließ sie dabei nicht aus den Augen.
    »Seit ich elf bin. Spielst du auch?«
    Er zuckte mit den Schultern zur Antwort. »Eigentlich ja, aber für die Bühne reicht es nicht, deshalb bin ich zum Singen verdonnert worden.« Er grinste schief und Nina konnte nicht anders, als es zu erwidern. »Du spielst sogar blind und dafür beneide ich dich, wirklich.«
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