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Echtzeit

Echtzeit

Titel: Echtzeit
Autoren: Sarah Reitz
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Interessiert tippte er auf einen Aufkleber auf ihrer Gitarre. »Prenzlberg?«, fragte er.
    Sie nickte. »Du auch, oder?« Seinen berlinerischen Akzent hatte sie sofort erkannt, als er sich vorgestellt hatte. Dass er aus dem gleichen Stadtteil kam wie sie, war natürlich ein witziger Zufall. Tatsächlich nickte er und beide grinsten sich an, einer dümmlicher als der andere. Ein wenig verlegen strich sie sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. Er stutzte und sein Blick fiel auf die Narbe unter ihrem Auge. Natürlich bemerkte sie es sofort und rieb peinlich berührt mit den Fingern darüber. Sie mochte diesen Makel nicht wirklich an sich, aber er war nun mal da.
    »Woher kommt diese Narbe?«, fragte er mit einem Gesichtsausdruck zwischen Staunen und Reue.
    »Jemand hat mich mal mit einem Gitarrenkoffer vom Fahrrad gehauen.« Sie winkte ab. »Aber mein Paps hat ihm danach die Hölle heißgemacht.«
    »Ich erinnere mich«, gestand er kleinlaut und wand sich ein wenig von ihr ab.
    Nina schlug sich die Hand auf die Stirn. Daher kannte sie ihn! Er war der Junge, der sie damals unsanft von ihrem Fahrrad geschubst hatte. Ihm hatte sie diese überaus hässliche Narbe zu verdanken.
    »Es tut mir wirklich leid«, murmelte er.
    Unerwartet brach sie in fürchterliches Gelächter aus. Wie konnte sie ihm jetzt noch böse sein?
    »Bitte, was ist so komisch?«, knurrte er sichtlich bedrückt.
    »Dein Gesicht …«, giggelte sie, »das ist fast genauso gut wie dein Ausdruck, als mein Vater dich durch unseren Hausflur gejagt hat, weil du seinem kleinen Mädchen wehgetan hast.«
    Jetzt stimmte auch er mit in ihr Lachen ein. »Oh ja, ich hatte wirklich Schiss vor deinem alten Herrn.«
    »Sei froh, dass du nicht eine seiner Gitarren beschädigt hast, dann wärst du vermutlich nicht so glimpflich davongekommen.« Sie verschluckte sich beinah an ihren Glucksern, doch dann brachte er sie mit einer kleinen Geste zum Schweigen.
    Vorsichtig strich er mit dem Daumen über ihre Narbe. »Es tut mir wirklich leid und ich glaube, es hilft kein bisschen, wenn ich dir jetzt sage, dass diese Narbe deinen blauen Augen einen gewissen Charme verleiht.«
    »Einen gewissen Charme, ja?« Sie war krampfhaft bemüht, das unkontrollierte Prickeln in den Griff zu bekommen, doch wieder breitete sich die verräterische Gänsehaut aus.
    Er nickte und sein Mund verzog sich wieder zu einer sanfteren Form seines schiefen Lächelns. Kaum merklich lehnte sie sich näher zu ihm. Sein Daumen strich noch immer über ihre Narbe und sie ließ ihre Fingerspitzen langsam über seinen Handrücken streifen. Nur zu gern wollte sie ihn küssen, jetzt und hier.
    »Happy Birthday to you … Happy Birthday …!« Die versammelte Mannschaft grölte los und unterbrach diesen kleinen, intimen Moment zwischen ihnen.
    Nina sprang auf, lehnte ihre Gitarre gegen den Campingstuhl und klatschte freudig in die Hände, während ihre Freunde mit einem kleinen Marmorkuchen, frisch aus der Folienverpackung und mit 18 Kerzen darauf, auf sie zukamen.
    »Süße 18?«, raunte ihr Tom ins Ohr. Er stand direkt neben ihr und legte sanft eine Hand auf ihren Rücken, bevor er aus voller Kehle in das Geburtstagsständchen einstimmte.

Kapitel 2
     
    Am nächsten Tag schien die Mittagssonne ohne jegliche Beeinträchtigung auf das Festivalgelände. Doch der Zeltplatz war noch immer total durchgeweicht und Nina hatte Mühe, halbwegs sauber wieder zu ihrem Zelt zu kommen.
    »Guten Morgen«, knurrte es von der anderen Seite.
    »Morgen, Tom«, nuschelte sie mit der Zahnbürste im Mund.
    Ungefragt kam er mit zwei Bechern zu ihr rüber. »Kaffee?« Er klang ganz schön muffelig.
    »Ja«, brummte sie, schmiss ihr Zeug auf die Metallkiste und griff nach dem Campingkaffeebecher, den er ihr reichte. Ächzend warf sie sich auf einen der Plastikstühle und schlürfte ihr Heißgetränk.
    Er tat es ihr gleich, zog sich seine dunkle Sonnenbrille vor die Augen und rutschte so tief es möglich war in den Stuhl. Eine ganze Weile schwiegen sie, knurrten nur hin und wieder in ihre Becher.
    »Morgenmuffel?«
    »Hm.« Seine Stimme klang noch tiefer und brummender als gestern, er war heiser durch die heftige Feierei der letzten Nacht.
    »Ich auch.« Sie hörte sich nicht viel besser an, nur einige Oktaven höher als er.
    »Gut zu wissen.« Er rang sich ein kleines Lächeln ab.
    Wieder vertieften sie sich in ihr Schweigen. Nina genoss diese Ruhe nach der aufreibenden Nacht und sie genoss auch seine Nähe, obwohl sie nichts
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