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Echtzeit

Echtzeit

Titel: Echtzeit
Autoren: Sarah Reitz
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hundertsten Toilettengang betrat sie es wieder und fand Tom vor dem kleinen Tisch kniend, über ein Papier gebeugt. Er war vertieft in sein Tun und schien ihre Rückkehr gar nicht bemerkt zu haben. Sie schob ihren Hintern auf die abgenutzte Ledercouch und sah ihm über die Schulter. »Was machst du da?«
    »Warte.« Er lächelte wieder sein schiefes Lächeln und seine Augen glühten vor Vorfreude. »Ich zeig's dir sofort.« Schnell vollführte er noch ein paar professionell wirkende Bleistiftstriche. Noch immer konnte sie nicht erkennen, was er da zeichnete, denn sein Unterarm bedeckte mit Absicht sein Werk.
    »Fertig!«, verkündete er schließlich, setzte sich neben sie und präsentierte ihr seine Zeichnung.
    »Geil!«, stieß sie aus. »Das ist ja meine Gitarre!«
    Er strahlte und schien sichtlich stolz, dass sie das Instrument sofort als ihres erkannte, obwohl er es ein bisschen verfremdet hatte. Der Korpus wirkte geschwungener und war eingerahmt von kleinen Blüten mit Totenköpfen. An der rechten Seite schob sich ein Notenschlüssel hervor und am Hals der Gitarre spreizten sich zwei kleine Flügel. An der Kopfplatte baumelte ihr Perlenanhänger und sogar der Prenzlberg-Aufkleber war eindeutig zu erkennen.
    »Ich wusste nicht, dass du so gut zeichnen kannst.« Sie nahm ehrfürchtig das Bild entgegen.
    »Ich hab 'ne Ausbildung als Grafiker gemacht, da ist das ganz praktisch, wenn man ein bisschen zeichnen kann.«
    Sie drehte das Blatt in ihrer Hand, sodass er es auch wieder sehen konnte. »Flügel? Womit hab ich die denn verdient?«
    Nachdenklich schürzte er die Lippen und zuckte mit den Schultern. »Eigentlich gar nicht. Aber mir ist nichts Besseres eingefallen.« Er nahm ihr das Papier wieder aus der Hand, schnappte sich ein Radiergummi und sah sie fragend an. »Soll ich was anderes an die Stelle zeichnen?«
    Sie nickte, denn Flügel passten überhaupt nicht zu ihr. Nachdem er diesen kleinen Fauxpas beseitigt hatte, sah er wieder zu ihr. Er wirkte genauso nachdenklich wie sie, doch dann kam ihr eine Idee. »Kannst du Noten schreiben?«
    »Mmh, eher nur bedingt lesen«, gestand er etwas kleinlaut.
    Kurzerhand schnappte sie sich ein Schmierpapier und zog flott eine Reihe Notenlinien. Kurz ging sie im Kopf die Melodie durch, bis sie an die Stelle kam, die sie zu Papier bringen wollte. Zügig kritzelte sie die Noten auf die provisorischen Linien – es waren nur zwei Takte, dementsprechend schnell hatte sie ihre gewünschte Grundlage.
    »Kriegst du die da so drum rum?« Sie wirbelte mit dem Stift durch die Luft und er lachte.
    »So drum rum, ja.« Er imitierte amüsiert ihre Handbewegung.
    Sie nickte aufgeregt und schob ihm ihre Kritzelei zu. Gekonnt zog er die geschwungenen Linien um den Gitarrenhals und malte dann gewissenhaft die von ihr vorgegebenen Noten darauf.
    »Und haste was gefunden, Süße?« Georg kam zu ihnen, nachdem er den letzten Kunden verabschiedet hatte.
    »Jap!«, rief sie und strahlte bis über beide Ohren. Sie hüpfte wie ein Flummi auf und ab und wartete darauf, dass Tom ihr die überarbeitete Vorlage übergab.
    »Uh, schick«, kommentierte Georg, »da haste deiner Süßen ja echt was Interessantes gezaubert. « Nach einer erneuten Diskussion wie rum die Gitarre nun ihren Unterarm zieren sollte, hatte Nina sich schließlich durchgesetzt. War ja auch ihr Arm, verdammt. Und ihre Begründung schien sogar Tom beeindruckt zu haben. Sie wollte ihre Tätowierung schließlich sehen können, wenn sie spielte.
    Georg begann die Transferflüssigkeit aufzutragen und ihr Begleiter machte es sich auf dem Sofa bequem. Sie konnte seinen Blick nicht richtig einschätzen. Er musterte sie unentwegt und schien auf irgendetwas zu warten. Ein Kichern entwich ihr, als die Vorlage auf ihre Haut gestrichen wurde. Das kitzelte.
    »So, Süße, dann wollen wir mal, was? « Georg schaltete den Trafo seiner Maschine ein. Das vibrierende Geräusch ging ihr durch und durch. Augenblicklich verkrampfte sie sich auf dem Stuhl und blickte Georg ängstlich an, doch der lachte nur.
    »Keine Angst, ich tu dir nicht weh.«
    Damit brach auch Tom in schallendes Gelächter aus.
    »Boa, ihr seid echt mal scheiße, Jungs!«, rief sie.
    »Ok.« Georg schaltete die Tätowiermaschine wieder aus. »Willst du das Tattoo, oder nicht? Last chance, Süße.«
    »Natürlich will ich das!« Sie hatte überhaupt keine Zweifel daran.
    »Gut.« Er schaltete die Maschine wieder an und sofort erklang dieses an Zahnbohrer erinnernde Geräusch wieder in
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