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Echtzeit

Echtzeit

Titel: Echtzeit
Autoren: Sarah Reitz
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machten, außer sich gegenseitig anzumuffeln. Er gab ihr nicht das Gefühl, jetzt dringend ein Gespräch beginnen zu müssen, schlimmstenfalls noch übers Wetter. Nein, er saß nur da und trank gemeinsam mit ihr einen Kaffee und es war einfach nur schön, ihn unmittelbar neben sich zu wissen. Letzte Nacht war er kaum von ihrer Seite gewichen und hatte sie, ihrem Gefühl nach, nur widerwillig in die Arme einer anderen Person entlassen. Ihm blieb ja keine Wahl, schließlich war es ihre Geburtstagsfeier gewesen. Bei jeder Gelegenheit hatte er sie wieder an sich gezogen, hatte sie festgehalten und ihr sanft über den Rücken gestrichen. Ein Lächeln schlich sich auf ihr zerknautschtes Gesicht, als sie an dieses herrliche Gefühl dachte. Nur geküsst hatten sie sich nicht. Die Gelegenheit dazu hatte sich einfach nicht ergeben. Sie musste das heute unbedingt nachholen. Aber jetzt in ihrem postalkoholischen Zustand war ein denkbar schlechter Zeitpunkt dafür.
    Langsam regte er sich auf seinem Stuhl und schüttete den letzten Schluck stimulierendes Koffeingesöff in sich rein. Mit einem leisen Stöhnen richtete er sich auf und beugte sich in ihre Richtung. »Und was hast du heute vor?«
    Oh, der Herr schien aus seiner morgendlichen Übellaunigkeit hervorzukriechen. Genau im richtigen Moment, denn inzwischen verflüchtigte sich ihre Muffeligkeit auch. Sie schwenkte den lauwarmen und traurigen Rest ihres Kaffees im Becher, bevor sie ihn auch leerte. »Ich lass mir heute mein erstes Tattoo stechen«, verkündete sie dann mit einem fetten Grinsen.
    Seine Augenbrauen lugten überrascht über den Rand seiner Sonnenbrille hervor. »Im Ernst?«
    »Ähm, klar oder glaubst du, ich scherze?«
    Lässig lehnte er sich zurück und erklärte oberlehrerhaft: »Du brauchst auch hier auf dem Festival 'nen Termin, das weißt du, oder?«
    »Natürlich!« Sie lachte dreckig. »In weniger als zwei Stunden bin ich dran. Hab sogar 'nen Termin bei Georg bekommen.«
    Entsetzt spannte er den Oberkörper an. Er saß jetzt kerzengerade neben ihr und schürzte streng die Lippen. »In weniger als zwei Stunden schon? Mann, Mädel, du hast noch 'ne ordentliche Menge Restalk intus und gefrühstückt hast du sicherlich auch noch nicht!« Er sprang auf, riss ihr den Becher aus der Hand und knallte ihn scheppernd auf den wackeligen Klapptisch, wodurch gleich ein paar leere Bierdosen über die Kante rollten.
    »Sag mal, was wird das denn jetzt?«, empörte sie sich.
    »Ich werde jetzt dafür sorgen, dass du was Anständiges frühstückst und in einem halbwegs respektablen Zustand zu deinem Termin erscheinst«, erklärte er streng und hielt ihr auffordernd die Hand hin.
    »Was spielst du dich denn jetzt so auf?« Mann, so weit war ihre Übellaunigkeit noch nicht verschwunden, als dass sie so eine Bevormundung sang und klanglos über sich ergehen lassen wollte.
    Langsam zog er die Sonnenbrille ab und stützte sich mit beiden Händen auf ihre Armlehnen. Sein Gesicht war nun direkt vor ihrem und sein Blick ließ keinen Widerspruch zu. »Wenn du so da auftauchst, wird Georg mit Sicherheit den Termin absagen. Und außerdem …«, er holte tief Luft, »kenne ich deinen Vater. Und ich bin nicht scharf darauf, mich noch einmal von ihm quer über den Prenzlberg jagen zu lassen, weil seinem kleinen Mädchen was passiert ist.«
     
    Nina blätterte noch immer unentschlossen in einem der zahllosen Ordner herum. Sie konnte sich einfach nicht für ein Motiv entscheiden, was bei Tom natürlich auf totales Unverständnis stieß. Außerdem war er von der Stelle des Tattoos, der Innenseite ihres Unterarms, überhaupt nicht begeistert. Eine etwas weniger auffälligere Stelle hielt er für angebrachter. Wenn er sie weiterhin wie ein kleines, naives Mädchen behandeln sollte, würde sie ihn noch vor ihrem ersten Kuss zum Teufel jagen.
    Genervt schlug sie den Ordner zu. »Ich muss schon wieder pinkeln.«
    »Nervös?«, fragte er, als würde er nichts Anderes erwarten.
    »Nein!«, fauchte sie. Und wie nervös sie war! Nur würde sie ihm das jetzt sicherlich nicht auf die Nase binden. »Aber es gibt da jemanden, der mich gezwungen hat, literweise Mineralwasser zu trinken.«
    Er grinste selbstgefällig. »Glaub mir, nachher wirst du es mir danken.«
    »Außerdem hasse ich Rollmops«, schmollte sie und stand auf.
    »Ja, ja, ich weiß, und Orangensaft findest du ebenso widerlich.«
    Sie hörte noch sein tiefes Lachen, als sie das Zelt Richtung Toiletten verließ. Nach ihrem gefühlt
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