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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut
Autoren: Katharina Burkhardt
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ohnmächtig geworden, als er den Preis sah. »Fünftausend Euro für ein Sofa? Himmel, dafür muss ein alter Mann lange schuften.« Mia hatte sich zärtlich an ihn geschmiegt. »Dafür müssen wir auch in den nächsten zwanzig Jahren kein neues kaufen«, hatte sie gesagt. Am Ende hatte Frank sich überzeugen lassen und sogar noch freiwillig ein paar Hundert Euro draufgelegt, weil er einen robusteren Bezug haben wollte: »Dann übersteht das Sofa auch noch ein paar Kinder und Hunde.« Mia war im siebten Himmel.
    Ihr Wohnzimmer wurde – neben dem Sofa – von Bücherregalen beherrscht, die eine ganze Wand ausfüllten. Von der Decke hing ein Kronleuchter, der glitzerndes Licht verbreitete. Größer als zwischen dieser winzigen, alten Wohnung und Arthurs sterilem Palast konnten die Gegensätze kaum sein.
    Mia lehnte sich in die Kissen zurück und schloss die Augen. Doch sie kam nicht zur Ruhe. Schließlich stand sie auf, nahm das Geld von Arthur aus ihrer Tasche und legte es in eine Schachtel auf ihrem Nachttisch. Noch zwei, drei Mal, und sie konnte sich den schicken Mantel leisten, den sie neulich in einem Schaufenster gesehen hatte. Zwei weitere Male, und sie würde sich auch die Stiefel kaufen können, die sie bereits zweimal anprobiert hatte. Wenn sie einen ganzen Monat durchhielt, wäre sogar ein Urlaub drin. Eine Woche Last Minute nach Gran Canaria, einfach dem tristen norddeutschen Winter entkommen.
    Sie dachte an Arthurs tiefblaue Augen. Und an sein gequältes Gesicht. Alles hat seinen Preis, dachte sie und schloss die Schachtel mit dem Geld behutsam.
     

2
     
    Mia lernte Frank auf der Party einer Kollegin kennen.
    »Es kommen lauter interessante Leute«, hatte Andrea behauptet. Es war ihr dreißigster Geburtstag, und sie wollte es richtig krachen lassen. Sie hatte einen Club auf dem Kiez gemietet, einer ihrer Freunde legte die Musik auf, und in der Tat füllte sich der kleine Raum schnell mit vielen sehr wichtig aussehenden Leuten.
    Mia war erst seit zwei Wochen bei Keutner und Lempe, sie kannte ihre Kollegen noch nicht richtig und wusste nicht, an wen sie sich halten sollte. Mit einem Bier in der Hand stellte sie sich abseits in eine Nische und beobachtete das Treiben um sich herum. Dumpfe Technobässe wummerten durch ihren Körper.
    »Du scheinst hier auch nicht viele Leute zu kennen«, schrie ihr auf einmal eine Stimme ins Ohr.
    Mia drehte sich überrascht um und erblickte einen Mann, der sie vergnügt angrinste. Er war kaum größer als sie, hatte eine untersetzte, kräftige Figur, blonde Haare, trug eine Brille, Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift: »Über Gewicht spricht man nicht, Übergewicht hat man.«
    Mia grinste zurück.
    »Stimmt«, brüllte sie dem Mann entgegen. »Und du? Kennst du viele?«
    »Ich kenne Andrea. Und jetzt dich.« Er lachte breit.
    »Mich kennst du doch noch gar nicht«, entgegnete Mia, aber er schien sie nicht richtig zu verstehen und zuckte fragend mit den Achseln.
    »Mich kennst du noch nicht«, brüllte Mia in sein Ohr.
    Er nickte. Dann deutete er hinter Mia.
    »Schlechter Platz hier!«, schrie er, und als Mia sich umdrehte, fiel ihr Blick auf eine riesige Lautsprecherbox. Sie lachte verlegen. Wie bescheuert, sich ausgerechnet an den lautesten Platz im ganzen Club zu stellen! Der Mann schob Mia vor sich her in eine Ecke, in der die Musik deutlich leiser war. Er hob seine Bierflasche und prostete Mia zu:
    »Ich bin Frank.«
    »Mia.«
    »Freut mich, Mia. Woher kennst du Andrea?«
    »Ich bin eine Kollegin von ihr. Und du?«
    »Ich bin ihr Nachbar.« Er verzog das Gesicht, als sei das eine Strafe. »Hast du auch Nachbarn, die jeden Tag auf deiner Matte stehen und irgendwas von dir wollen?«
    »Nein. Aber ich habe eine Nachbarin, die mir gerne im Treppenhaus auflauert und mich dann stundenlang über meine Arbeit ausfragt.«
    Mia war verblüfft, wie schnell und selbstverständlich Frank sie in ein Gespräch verwickelte und ihr das Gefühl gab, die interessanteste Person in dem mittlerweile brechend vollen Club zu sein. Erst viel später wurde ihr klar, dass es eine Gabe von Frank war, Menschen für sich zu gewinnen. Mit seinem charmanten, jungenhaften Lachen brachte er sie blitzschnell dazu, sich in seiner Nähe wohlzufühlen, ihn zu mögen und ihm zu geben, was er brauchte - angefangen bei seinen Nachbarn, die keineswegs ständig etwas von ihm wollten, sondern vielmehr sehr geduldig hinnahmen, dass er oft bis spät in die Nacht Partys feierte, bis hin zu seinem
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