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Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)
Autoren: Kim Paffenroth
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noch sehr viel mehr Regeln hatten. Aber nachdem wir all das Land von den hungrigen Toten zurückerobert hatten, waren ausreichend Platz und Ackerland für die paar Hundert Menschen vorhanden, die wir hatten zusammenführen können. Nachdem die Menschen wieder etwas verstreuter lebten und sich nicht mehr gegenseitig auf die Füße traten, wurden die bisherigen Regeln der bewaffneten, belagerten Festung gelockert, und es schien ein viel geringerer Bedarf an einer formellen Regierung zu bestehen. Dieses Konzept einer Regierung – und die noch viel fremdartigere Idee eines Staates oder einer Nation – war mir zwar in alten Büchern begegnet, aber es fiel mir sehr schwer, zu verstehen, was es genau bedeutete. Und abgesehen von dem beinahe unmerklichen Leuchten in ihren Augen, wenn wir am 4. Juli ein Feuerwerk entzünden und unsere »Freiheit« feiern – was wir nach wie vor tun –, hatte ich stets den Eindruck, dass eine Regierung nicht zu den Dingen der alten Welt gehört, die die Älteren sonderlich vermissen.
    Aber auch wenn die Älteren noch immer an ihrer alten Welt hingen, während wir Jüngeren voll und ganz Teil der neuen waren, denke ich, dass es für jene am schwersten war, die nur ein wenig älter sind als ich – gerade alt genug, um sich daran zu erinnern, dass die Toten einst vollkommen reglos unter der Erde lagen. Alt genug, um sich daran zu erinnern, wie ihre Eltern und andere Menschen unter den Fontänen und in den Pfützen ihres eigenen Blutes zerfetzt wurden oder durch die Infektion oder Hunger einen langsamen Tod starben. Wenn ich diejenigen betrachtete, die nur ein wenig älter waren als ich, sah ich, dass sie von den mächtigsten, verbittertsten aller Geister gequält wurden, der Art von Geistern, die nicht nur in unseren Köpfen oder Herzen leben, sondern bis tief in unser Mark vordringen. Ich konnte mich in der neuen Welt glücklich oder zumindest zufrieden fühlen, und meine Eltern konnten ihr mit Bedauern oder Resignation begegnen. Aber auf alle dazwischen, alle, deren Kindheit unterbrochen wurde, als die Toten sich erhoben, schien sich das Geschehene viel langfristiger, tief greifender und entfremdender auszuwirken.
    Ein paar in unserer Gemeinde gehören in diese Altersgruppe zwischen mir und meinen Eltern: Menschen wie Will, der ein junger Mann war, als sich die Geschichte ereignete, die ich nun erzählen möchte. Sie hatten ihn Popcorn genannt, als er noch ein Junge gewesen war, weil sie ihn aus einem verlassenen Kino gerettet hatten, wo es dieses Zeug namens Popcorn gab, das man wohl üblicherweise aß, wenn man sich einen Film anschaute. Mr. Caine und Miss Wright zogen ihn auf, und irgendwann verkündete er, sein Name sei Will – nicht William, Bill oder Billy, nur Will. Es gab einige Spekulationen darüber, ob er sich selbst so getauft, sich einfach plötzlich an seinen früheren Namen erinnert oder ihn sogar die ganze Zeit über gewusst und nur geheim gehalten hatte, bis ihm danach war, ihn preiszugeben.
    Leute in Wills Alter schienen in dieser neuen Welt nur Wut oder Enttäuschung empfinden zu können. Ihre Wut richtete sich entweder gegen die Toten oder gegen das Bild, das sie sich von Gott oder dem Teufel bewahrt hatten – von wem, schien keine Rolle zu spielen und in ihren Köpfen auch nicht voneinander getrennt zu sein –, während ihre bittere Enttäuschung stets den Lebenden galt. Sie erinnerten sich an jedes einzelne Lächeln, jede Berührung, jeden Kuss und jede Umarmung aus der Zeit zuvor, und sie erinnerten sich an jeden Schrei und jedes Keuchen dieses einen Momentes, in dem der Tod ihre Träume zerstörte und ihnen jede Hoffnung und all die Liebe raubte, die sie je besessen hatten. Und es schien, als könnten sie niemals vergeben – weder den Toten noch den Lebenden, und am allerwenigsten sich selbst. Beide, die Älteren wie die Jüngeren, versuchten, ihren Schmerz wegzulieben, aber Letztere schienen damit noch weniger Erfolg zu haben als die Generation meiner Eltern. Meine Eltern hatten die Zukunft verloren, die sie sich gewünscht oder die sie erwartet hatten, und so klammerten sie sich traurig an die Vergangenheit. Für Menschen wie Will waren sowohl die Zukunft als auch die Vergangenheit leer, bedeutungslos und schmerzvoll – wie das gebrochene Versprechen einer bösen Stiefmutter oder der schamlos verratene Schwur eines untreuen Liebhabers – und so lebten sie oft allein in der Gegenwart, gingen Risiken ein, schnappten nach jedem kleinen Vergnügen und sprachen
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