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Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)
Autoren: Kim Paffenroth
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nur selten mit anderen oder kamen ihnen gar näher. Oder zumindest erschien es mir damals so.
    Es war keine Überraschung, dass Will irgendwann begann, Milton in die Wildnis zu begleiten und ihm dabei zu helfen, die Toten zusammenzutreiben, auch wenn er längst nicht dieselbe Befriedigung aus dieser Arbeit zu ziehen schien wie Milton, und natürlich war es für ihn auch viel gefährlicher, da er im Gegensatz zu Milton nicht immun gegen die stets hungrigen Leichen war. Für Milton war diese Aufgabe ebenso ein Dienst an der Gemeinschaft wie an den Zombies, oder, wie er sie nannte, »unsere toten Brüder und Schwestern«. Für Will kam es einer Flucht vor den Lebenden gleich, sich inmitten einer Gruppe aufzuhalten, für deren Angehörige er zwar keinerlei Zuneigung mehr empfand, die jedoch, in gewisser Weise, eine viel bessere Gesellschaft für ihn waren, da sie ruhig, bedingungslos, verständnislos und, vor allem, vollkommen anspruchslos waren – jedenfalls solange es einem gelang, ihren widerlichen, unersättlichen Mäulern zu entkommen. Vielleicht war es am besten so, auch wenn ich noch immer bezweifle, dass es notwendig oder wirklich gut für Will war, so viel Zeit unter den lebenden Toten zu verbringen.
    Ein weiterer Grund, warum Erinnerungen nicht komisch im humoristischen Sinne sind, ist die Tatsache, dass die Menschen ihre Erinnerungen manchmal vor anderen verstecken, selbst wenn diese Erinnerungen ihre Mitmenschen direkt betreffen. Ich habe das auch bei meiner Mom und meinem Dad festgestellt. Seit jeher – oder solange ich eben zurückdenken kann – ist mir bewusst, dass mein Dad mich anders ansieht als meine Mom. Ihre Liebe ist nicht nur grenzenlos, sie ist überschwänglich, neugierig und voller Freude. In seinem Blick lag – auch wenn er stets ebenso bedingungslos und voller Hingabe war wie der ihre – immer noch etwas anderes. Nicht direkt etwas Zurückgezogenes oder Vorsichtiges, aber irgendetwas, das von mir erwartete oder sogar verlangte, dass ich jederzeit kühl und vorsichtig blieb und die Kontrolle behielt – gegenüber allen Menschen, aber besonders gegenüber ihm. Meine Mom hätte alles getan, um mich zu beschützen. Mein Dad vertraute darauf, dass ich ihn oder jeden anderen beschützte. Ich hätte angenommen, das Ganze sei so ein Vater-Tochter-Ding, aber Jonah hat mich schon immer auf dieselbe Weise angesehen wie mein Dad, und deshalb bin ich mir fast sicher, dass sie etwas über mich oder meinen biologischen Vater wissen, das sonst niemand weiß.
    Es scheint beinahe, als behandelten sie mich so, weil sie glaubten, ich sei wie Milton, oder als erwarteten sie von mir, so zu sein wie er, mit einer besonderen Gabe oder besonderem Verständnis, aber ich weiß, dass ich nichts dergleichen besitze. Ich habe die Toten gesehen, und sie sehen mich an wie jeden anderen auch, mit gefühllosem, unkontrollierbarem Verlangen, und ich fühle mich unter ihnen ebenso unwohl und ängstlich wie jeder andere auch. Früher habe ich mir manchmal gewünscht, meinen Dad oder Jonah einfach fragen zu können, was ihnen durch den Kopf ging, wenn sie mich so ansahen, aber ich habe immer gewusst, dass ich das doch niemals tun würde. Ich war mir zwar nicht sicher, ob sie es mir gesagt hätten, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich es gar nicht wissen wollte.
    Und das führt mich zu einer Erinnerung, an die ich heute Morgen wieder denken musste, zum ungefähr einmillionsten Mal. Sie führte dazu, dass ich mehr über Erinnerungen nachdachte und darüber, wie sie funktionieren und weshalb sie so wichtig sind – und weshalb ich jene aus meinem zwölften Lebensjahr vielleicht niederschreiben sollte, bevor sie mir ebenfalls entwischen oder sich verwandeln oder was immer auch mit dieser anderen, älteren Erinnerung geschehen ist. In dieser Erinnerung – von der ich glaube, dass sie das Erste ist, woran ich mich in meinem Leben überhaupt erinnere – spiele ich »Versteinern« mit ein paar anderen Kindern, und wir alle sind ungefähr vier Jahre alt. Wir spielen auf einem großen Feld. Es ist sehr heiß und sonnig, aber nicht unangenehm, sondern wunderbar belebend. Insekten – aber nicht die Sorte, die einen nervt, wie Fliegen oder Moskitos, sondern Motten, Schmetterlinge, Libellen und sogar hin und wieder eine Biene – schwirren und hüpfen durch das Gras, das rings um uns kleine Kinder ziemlich hoch ist und uns bis über die Taille reicht. Am Rand des Feldes steht eine Reihe von Bäumen. Ich bin versteinert und warte
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