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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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Arbeitszimmer nie betrat.»
    «Und dann haben Sie geahnt, in was für Geschichten Ihr Mann verstrickt war?»
    «Ich wollte es nicht wahrhaben, aber die Botschaft war doch unmissverständlich, nicht wahr. Ich begann nachzuforschen, ich wollte die Wahrheit herausfinden – und dabei sollten Sie mir behilflich sein.»
    Wir schwiegen lang. Von Zeit zu Zeit waren aus dem oberen Stock Geräusche zu vernehmen. Dann erzählte ich alles, was ich in Erfahrung bringen konnte: Vukovi ć s Treiben als Freischärlerführer und Militärpolizist, was in der Haager Anklageschrift gegen ihn erhoben wurde und was mir Frau Spahi ć erzählt hatte. Schliesslich liess ich durchblicken, dass ich die Verfasserin der Briefe ausfindig gemacht hatte.
    «Aber Sie irren, wenn Sie diese Frau für die Mörderin Ihres Mannes halten. Sie wollte ihn lediglich einschüchtern. Er sollte wissen, es gibt Leute, die über seine dunkle Vergangenheit Bescheid wissen. Ich glaube ihr. Und dann bestritt sie auch, den vierten Brief geschrieben zu haben …»
    Ich nahm einen Schluck und behielt die Flasche in der Hand. «Damit bin ich mit meinem Latein am Ende. Sehen Sie, wer immer ihn geschrieben, und wer nun immer auch Ihren Mann getötet hat, er kannte den Inhalt der verschlüsselten Briefe. Und genau hier komm ich nicht mehr weiter. Ich schliesse es aus, dass Ihr Mann die Briefe sonst noch jemandem gezeigt hat, ebenso wenig wie es die Verfasserin tat, wie sie mir versicherte. Sonst hat nur noch ein Freund von mir die Briefe gelesen, der sie für mich übersetzt hat. Er hat damit nichts zu tun.»
    Ich trank und richtete meinen Blick wieder auf Frau Vukovi ć . «Verstehen Sie, ausser der Verfasserin, Ihrem Mann, mir und meinem Freund wusste keiner von den Briefen.»
    Sie sah mir lange in die Augen. «Sie haben eine Person vergessen …»
    Ich schüttelte den Kopf. «Ausgeschlossen, es gibt keine weiteren Personen. Was … Was wollen Sie damit sagen – Sie?!»
    «Ich glaube, Sie mögen noch gut ein weiteres Bier vertragen …»
    Sie stand auf und ging in die Küche.
    Ich rauchte eine Zigarette an und nahm die Flasche in Empfang. Entgeistert starrte ich auf Frau Vukovi ć , die sich mir gegenüber in den Sessel niederliess.
    «Ja, ich habe Radomir Vukovi ć umgebracht. Sehen Sie mich nicht so an. Ich kann es Ihnen zwar nicht verübeln, aber kriegen Sie sich wieder ein.» Ein seltsames Lächeln huschte über ihr Gesicht.
    «Ich habe es noch keine Sekunde bereut. Als mir klar wurde, dass mein Mann einer von denen war, die unser Jugoslawien zerstört hatten, war es kein weiter Weg mehr bis zum Entschluss, ihn zu töten. Ich las diesen Wunsch ja aus den Andri ć -Zitaten. Ich wusste, ich beginge diese Tat nicht für mich allein.» Sie lehnte sich im Sessel zurück.
    «Sehen Sie, dieses Jugoslawien war ja nicht einfach eine Erfindung von Tito – es schlummerte schon seit Jahrhunderten in den Herzen der Menschen, denen das Schicksal immer wieder so arg mitgespielt hatte. Es war die Heimat von Millionen durch die Geschichte entwurzelter und von den Grossmächten einander entfremdeter Menschen. Eine Heimat, die durch ihr Beispiel in die ganze Welt hinaus leuchtete. Wir hatten endlich unsere Geschicke selber in die Hände genommen. Wir waren weder Moskaus noch Washingtons Vasallen. Nennen Sie mir ein einziges Land, das von sich Gleiches behaupten konnte – und kommen Sie mir bitte nicht mit der neutralen Schweiz!» Sie holte tief Luft.
    «Dass wir Feinde hatten – mächtige Feinde, die uns erneut nach der Existenz trachteten, denen unsere Einheit ein Dorn im Auge war –, darüber machte sich niemand Illusionen. Aber dass die ärgsten Feinde aus unserer Mitte kommen, dass unsere eigenen Leute diesen Leuchtturm der Geschichte zerstören würden; und dazu auf eine solch fürchterliche, sinnlose Art, sodass die äusseren Feinde nur noch hier und dort etwas Öl nachgiessen mussten – das ertrage ich nur unter grössten körperlichen und seelischen Schmerzen.» Frau Vukovi ć s Hände zitterten, sie legte sie auf ihre Knie und bezwang sich.
    «Mein Mann also war einer dieser Wahnsinnigen. Solche minderwertigen Kreaturen gehören hingerichtet. Den Haag ist ja gut und recht. Es ist wichtig für die Geschichtsschreibung, da wir ja nicht fähig zu sein scheinen, sie selber zu schreiben. Aber als Strafe für diesen Abschaum kommt nur der Tod in Frage, und zwar der von der Hand eines Menschen aus dem eigenen Volk herbeigeführte!»
    Die letzten Worte hatte sie in wildem Hass
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