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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis
Autoren: James Sallis
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gerade einen Becher Kaffee neben Junes Computer, als ich hereinkam. Sie reichte mir einen Anrufzettel. Seit wann hatten wir Anrufzettel? Da stand »Sgt. Haskell«, mit einem winzigen Smiley als Punkt hinter dem »Sgt.«, dazu eine Nummer in Hazelwood, was ein paar Countys weiter weg lag, eingeklemmt in die obere Ecke des Bundesstaates wie Haare in einer Achselhöhle. Ich sah Lonnie an. Hätte er das nicht übernehmen können?
    Er kam mit einem Becher für mich herübergeschlendert. Eine frische Kanne, dem Duft nach zu urteilen. »Der Sergeant wollte ausschließlich mit dem Sheriff reden, herzlichen Dank auch.«
    Und das war allerdings ich, nachdem ich es versäumt hatte, schnell genug einen Rückzieher zu machen. Natürlich hatte ich die Stelle abgelehnt, mehrfach und ziemlich energisch, aber als ich das letzte Mal wie gewohnt ablehnen wollte, sah ich mich um und stellte fest, dass da sonst keiner mehr war. Lonnie war in Ruhestand gegangen. Meine Tochter, J.T., hatte auf dem Posten etwas über ein Jahr lang eine
ruhige Kugel geschoben und war dann zu der Auffassung gelangt, dass sie das alte Chaos vermisste (sie drückte es allerdings anders aus), und kehrte in der Folge nach Seattle zurück. Don Lee blieb als Deputy, aber er war – ein wenig wie Eldons Spottdrossel – nie so ganz über das weggekommen, was man ihm angetan hatte.
    Haskell meldete sich nach dem zweiten Klingeln und sagte, er werde sofort zurückrufen. Das musste nichts zu bedeuten haben, aber ich hatte so das Gefühl, dass dies weniger mit Vorsicht oder womöglich Zuvorkommenheit zu tun hatte, sondern dass die Mühlen drüben in Hazelwood einfach ein bisschen langsamer mahlten.
    »Sie haben ein Fahrzeug ins LETS-System eingegeben«, sagte er, nachdem wir die üblichen Unverbindlichkeiten ausgetauscht hatten, betreffend unsere Familien (ich hatte keine, er sechs unverheiratete Tanten), das Wetter (»gar kein so übler Morgen«) und das Neueste von der Angelfront. »Ein ’81er Buick Regal.« Er las die Fahrzeug-Identifizierungsnummer ab. »Verkehrsunfall?«
    »Genau.«
    »Ich hoffe, nichts Schlimmes.«
    »Bald wissen wir mehr.«
    »Tut mir leid, das zu hören. Falls das irgendwie
hilft, der Wagen kommt aus unserer Gegend. Gehörte einer Miss Augusta Chorley, aber angesichts der Tatsache, dass die alte Dame auf die achtzig zugeht, und zwar stramm, sagen manche, ist das Fahrzeug schon eine ganze Weile nicht mehr auf der Straße.«
    »Die Aussichten stehen gut, dass er jetzt für immer von der Straße ist.« Nachdem er das halbe Rathaus eingerissen hatte. Ich schilderte ihm, was passiert war. »Wir werden ihn natürlich noch ein paar Tage hierbehalten müssen, aber richten Sie Miss Chorley doch bitte aus, dass wir ihr den Wagen so schnell wie möglich zurückbringen werden. Und wenn Sie mir jetzt noch die Versicherungsnummer geben und eine Kopie des Berichts faxen könnten …«
    »Hätte ich längst getan, wenn ich ein Fax hätte. Das Fahrzeug wurde nicht gestohlen, Sheriff.«
    Ich wartete. Sergeant Haskell in seinem Büro-Kabäuschen drüben in Hazelwood, direkt neben der Liberty Bank, und ich hier, der ich durch die Ritzen zwischen den Sperrholzplatten, die Eddie Wilson angebracht hatte, auf die Main Street sah – zwei coole Polizei-Profis bei ihrer alltäglichen Arbeit.
    »War der Fahrer zufälligerweise ein junger Mann etwa Anfang zwanzig? Schmächtig, dunkles Haar, so ein Flanellhemd-und-Jeans-Typ?«

    »Das ist er. Billy Bates.«
    »Einer aus eurer Ecke?«
    »Ist hier aufgewachsen. War dann ’ne ganze Weile fort.«
    »Verstehe.« Drüben in Hazelwood räusperte sich Sergeant Haskell. Ich versuchte einen Schluck von dem Kaffee. »Nach allem, was ich so höre, hat der Junge für die alte Miss Chorley den einen oder anderen kleinen Job erledigt. Die alte Dame wohnt in diesem Haus, das ist alles, was von der früher mal größten Plantage hier in der Gegend noch übrig ist. Und auch das sind heute nur noch zwei kaum nutzbare Räume, ansonsten überall nur Gestrüpp und unfruchtbarer Boden. Mit dem Haus selbst geht’s seit fünfzig oder sechzig Jahren praktisch unaufhörlich bergab. Soweit man weiß, gibt’s auch sonst keine Familienangehörigen mehr. Die alte Dame lebt ganz allein dort draußen und würde die Tür auch dann nicht aufmachen, falls tatsächlich mal irgendwer vorbeikäme, was aber kein Mensch tut. Ihr Junge – Billy heißt er, richtig?«
    »Richtig.«
    »Der ist in eine alte Jagdhütte hier draußen am See eingezogen. Hat
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