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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis
Autoren: James Sallis
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Krankenhaus. Ich hab Asthma, Diabetes und Herzprobleme. Ich hab so viel Metall im Körper, ich könnte locker ein stattliches Fischerboot versenken.«
    »Ich kann Ihnen sagen, was Sie sind«, antwortete
ich ihm bei solchen Gelegenheiten. »Sie sind ein Wunder an Dickköpfigkeit.«
    »Ich klammer mich nur an die gute alte Erde, Turner. Klammer mich nur an die gute alte Erde.«
    Der Grashüpfer kletterte auf sein Knie, blieb dort einen Moment hocken und verzog sich dann mit flatternden Flügeln zurück auf die Straße.
    »Wenigstens hört mir irgendwer zu«, sagte Doc. »Damals, als ich Assistenzarzt war …«
    Offenbar war eine Seite in der Chronik umgeblättert worden, die sich in seinem Kopf befand. Ich wartete, dass sein Hustenanfall abklang.
    »In meiner Zeit als Assistenzarzt – das war damals wie im Werkraum in der Schule. Man musste lernen, richtig mit der Säge, der Zange, den Klammern, den ganzen Dingern umzugehen. Heute geht es eher zu wie in einem Ratequiz – wer kann sich die meisten verrückten Namen merken! Jedenfalls hatte ich damals viel mit Kindern zu tun, die waren alle zusammen auf einer Station. Viele Fälle von Mukoviszidose – nicht, dass wir damals gewusst hätten, was das war. Alles Kinder, die so ziemlich in jeder Hinsicht die Arschkarte gezogen hatten.
    Da war dieses eine Mädchen, ein hässlicheres kleines Ding kann man sich gar nicht vorstellen, der kleine Körper völlig aufgezehrt, dann dieser fassförmige
Thorax, eine Haut wie Leder und Finger wie Baseballschläger. Aber sie hatte einen hübschen Namen: Leilani. Man musste sofort an Blumen und Parfüm denken, an Musik. Eines Tages sagte uns ein Oberarzt, in Wahrheit würde Leilani gar nicht mehr existieren, würde schon seit Jahren nicht mehr wirklich leben, es sei lediglich diese Infektion, die Pseudomonaden in ihr waren es, die beharrlich weiterlebten – die ihren Körper bewegten, ihn atmen und reagieren ließen.«
    Er schaute in die Richtung, in die der Grashüpfer verschwunden war.
    »Und genau so fühle ich mich an manchen Tagen.«
    »Doc, ehrlich: Wann immer Ihnen danach ist, hier aufzukreuzen und mich aufzuheitern – nur zu.«
    »Hab ich nie getan. Hab es nie an die große Glocke gehängt.«
    »Schon okay, kein Problem.«
    Er wartete einen Moment, bevor er fragte: »Und wie geht’s Ihnen?«
    »Ich bin hier.«
    »Darauf kommt’s an, Turner. Nur darauf kommt’s letzten Endes an.«
    »Man hofft aber schon, dass es ein bisschen mehr wäre.«

    »Das tut man. Immer. Also setzt man seinen geliebten Hintern in Bewegung und macht sich auf die Suche. Und eh man sichs versieht, sind die Stöcke, mit denen man Früchte vom Baum geholt hat, angespitzt zu Speeren, und aus den Speeren werden Kanonen, und schon hat man den Salat: Nationen, Politiker, TV, Designerklamotten. Descartes hat mal gesagt, alles Übel rührt daher, dass der Mensch nicht allein sein und Ruhe bewahren kann.«
    »Das hab ich oft gemacht.«
    »Bin nicht sicher, ob Gefängniszellen mitzählen.«
    »Vorher. Und auch nachher. Das Übel hat mich trotzdem gefunden.«
    »Tja. Tut es wohl immer, was? Ist wie bei einem Hund, der Blut geleckt hat. Man kann’s ihm nicht mehr abgewöhnen.«
    Mit scheppernden und knallenden Zylindern fuhr Odie Piker in seinem Truck vorbei. Die Karre hatte ihr Leben begonnen als Dodge. Im Verlauf der Jahre waren so viele Teile ersetzt worden – verzinktes Stahlblech angeschweißt als Kotflügel, ausgebesserte Roststellen überlackiert in Farben, die gerade zur Hand waren, vier oder fünf erneuerte Kupplungen sowie ein oder zwei Austauschmotoren –, dass vom Original wahrscheinlich nichts mehr übrig war. Und vermutlich ist die Karre während all dieser Jahre
kein einziges Mal gewaschen oder gar innen geputzt worden. Staub vom Fallout der Atombombenversuche in den fünfziger Jahren lagerte in den Ritzen und Fugen, und hinten unter dem Sitz würde man garantiert Verpackungen von Lebensmittelprodukten finden, die längst nicht mehr auf dem Markt waren.
    Die Türen schlossen pneumatisch hinter Donna und Sally, als sie das Rathaus verließen, um in Jay’s Diner zu Mittag zu essen. Minuten später trat Bürgermeister Sims aus dem Seiteneingang, blieb stehen und klopfte sein Sakko ab. Als er uns bemerkte, verwandelte sich seine Handbewegung in ein unbestimmtes Winken.
    »Fragil«, verkündete Doc, dessen Gedanken sich wieder auf einem anderen Gleis bewegten.
    »Genau.«
    »Fragil. Das sind wir – alles im Leben ist fragil. Zerbrechlich. Alles
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