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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis
Autoren: James Sallis
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nach Hause nach Seattle gefahren, Eldon war bei einem Konzert.
    »Na ja, und da saß ich dann, irgendwo am Arsch der Welt in Texas oder Iowa, schrieb auf Motelbriefpapier, wenn’s welches gab, oder auf Blöcken von 7-Eleven, wenn’s kein Schreibpapier gab, und ich musste immer daran denken, wie du mir mal erzählt hast, dass so vieles von dem, was man dir über Therapien beigebracht hat – dass es unerlässlich ist, Dinge klar auszusprechen, Gefühle ans Tageslicht zu zerren –, dass so vieles davon einfach falsch ist.«
    »Der Mensch ist nun einmal ganz versessen auf das eine Deutungsmuster, das alles erklärt. Religion, Außerirdische, Marxismus, Stringtheorie, Psychologie.«
    »Und ich erinnere mich auch daran, dass du gesagt hast, Menschen ändern sich nicht.«
    »Ich habe gesagt, wir passen uns an. Alles, was vorher da war, ist immer noch da, wird immer da sein. Der Trick besteht nun darin, wie wir uns damit arrangieren.«
    »Über das alles habe ich nachgedacht und weitergeschrieben.
Dann habe ich eines Tages aufgehört. Aus keinem speziellen Grund – einfach so, wie ich auch damit angefangen hatte.«
    Die Dunkelheit brach herein. Draußen am nahen Waldsaum verfing sich Licht in einem Augenpaar, den Augen eines Falken oder einer Eule. Aus den Tiefen des Waldes kam der Schrei eines Luchses.
    »Ich habe mich verändert«, sagte Eldon.
    Ich wartete, und – als nichts mehr kam – ging ich hinein. Ich füllte ein Dessertglas zur Hälfte mit dem Selbstgebrannten, den Nathan mir regelmäßig vorbeibrachte. Designerschnaps nannte er ihn seit neuestem. Gott allein weiß, wo er die Modevokabel aufgeschnappt haben könnte, da er niemals den Wald verließ, kein Radio besaß, seit Ende des Zweiten Weltkriegs keinen Blick mehr in eine Zeitung geworfen hatte und jedem, der es wagte, einen Fuß auf seinen Grund und Boden zu setzen, mit seiner Schrotflinte gegenübertrat. Aber er liebte das Wort und benutzte es bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wobei er breit grinste und Zähne wie Zypressenstümpfe zeigte.
    Als ich wieder nach draußen kam, hatte die Dunkelheit alles in Bodennähe in Besitz genommen; lediglich über den Bäumen behauptete sich noch ein schmaler Streifen Licht. Eldon hatte den Kopf nach
hinten auf die Rückenlehne des Sessels gelegt, die Augen geschlossen. Er sprach, ohne sie zu öffnen.
    »Als ich zwölf war – daran erinnere ich mich noch, weil ich gerade angefangen hatte, Gitarre zu lernen, nachdem ich im Schulorchester an meiner billigen Trompete verzweifelt war, bei der ständig was kaputt war. Jedenfalls, ich war damals zwölf, saß ich auf der Veranda und übte. Ich hatte eine von diesen Silvertones, angeschlossen an eine Verstärker-und-Box-Kombi, nur dass der Verstärker nicht funktionierte, weswegen ich das Teil praktisch für umsonst bekommen hatte. Und zur selben Zeit kreuzt da diese Spottdrossel auf. Kann nicht mehr fliegen und sieht überhaupt ziemlich halbtot aus. Dehydriert, unterernährt, völlig am Ende. Scheint, als hätte sie mich auserwählt, ich bin ihre letzte Chance.
    Ich hab ihr eine Schale mit Wasser geholt, etwas Katzentrockenfutter, habe mit Kordel ein paar Stöcke zusammengebunden, um einen Käfig zu bauen. Gab zu viele Hunde und Katzen, um sie ungeschützt draußen zu lassen.
    Was immer mit ihr nicht in Ordnung war – höchstwahrscheinlich war’s ein gebrochener Flügel –, sie hat sich nie mehr richtig erholt. Verbrachte die letzten acht Monate ihres Lebens auf der Veranda hinterm
Haus und betrachtete die Welt, zu der sie schon lange nicht mehr gehörte.«
    Eldon streckte eine Hand aus, nahm mir das Glas ab und trank einen großen Schluck. Ich erinnerte mich, wie wir draußen an der State Road 41 im Shack zusammengesessen hatten, nachdem jemand seine Gitarre kurz und klein geschlagen und anschließend versucht hatte, eine Schlägerei zu provozieren, dachte wieder daran, wie er mir an diesem Abend erzählte, warum er niemals trank.
    »Ich sitze da und versuche, einen Vogel am Leben zu halten, und überall um mich herum sterben Menschen, und es finden zwei oder drei Kriege statt. Welchen Sinn ergibt das?«
    Er gab mir das Glas zurück.
    »Die glauben, ich hätte jemanden umgebracht, John.«
    »Und? Hast du?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Wir saßen da und beobachteten, wie der Mond sich seinen Weg durch die hohen Äste bahnte.
    »Ist ’ne irre Fahrt gewesen«, sagte er nach einer Weile, »dieses Leben.«
    »Immer. Man muss nur aufpassen.«

Kapitel Vier
    Lonnie stellte
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