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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis
Autoren: James Sallis
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miteinander in Verbindung zu bleiben. Doch wie sich herausstellte, war an jenem Tag nicht alles bloß leeres Gerede; Cy sagte etwas, das ich nie mehr vergaß.
    »Die Vergangenheit«, sagte er und legte drei Finger einer Hand über seine Tasse, damit Bea nicht noch einmal nachschenkte, »das ist die Schwerkraft. Einerseits hält sie dich auf der Erde, aber gleichzeitig will sie dich zu Boden ziehen, sie will dich, wie die
Erde selbst, ganz für sich haben. Und die Zukunft, der Blick nach vorn, Planen, Vorausschauen – das ist so was wie der freie Fall, deine Füße haben den Bodenkontakt verloren, du schwebst, schwebst dort, wo es kein Dort gibt.«

Kapitel Fünf
    Als ich Eldon verlassen hatte, zupfte er gerade bekümmert an seinem Banjo herum und summte tonlose Melodien, während von Zeit zu Zeit ein Wort – Schatten , Schuh , Weide – aus der Versunkenheit auftauchte. Und aufwühlende Erinnerungen wurden wach, an Val, wie sie ganz ähnlich dagesessen hatte. Bring das Motorrad nach hinten, hatte ich ihm gesagt, und bleib im Haus.
    Er hatte in einem Café in Arlington, Texas, gespielt, in der Nähe des Universitätsgeländes. Nach dem Gig war dieser Typ zu ihm gekommen, um ihm zu sagen, dass ihm seine Art zu spielen gefiel. Sie gingen irgendwohin, auf ein Bier – Eldon hatte inzwischen zu trinken angefangen –, und nach diesem Bier (und ein paar weiteren), zogen sie zum Frühstücken weiter in ein Lokal, das bis tief in die Nacht geöffnet hatte und auf Crêpes spezialisiert war, die von der Kellnerin am Tisch zubereitet wurden. (»Sie faltete sie so geschickt und geradezu sanft, als würde sie einem Baby die Windel wechseln.«) Der Bursche – sein Name war Steve Butler – sagte zu Eldon,
er könne gern in seinem Haus pennen, er habe jede Menge Platz und man würde sich gegenseitig auch nicht in die Quere kommen. Ich war seit Monaten auf Tour, sagte Eldon, schlief, wo immer sich eine Möglichkeit ergab, in Parks und auf Rastplätzen, hinter leerstehenden Häusern und Geschäften, da klang das Angebot sehr verlockend.
    Am nächsten Morgen wachte er mit einer jungen Frau neben sich auf, Johanna, »wie in dem Song von Bob Dylan«. Ich kannte praktisch ihre komplette Lebensgeschichte, als ich meine Hose anhatte, sagte Eldon. Butler, fand er heraus, war ein Rechtsanwalt mit einem Faible für Künstlertypen. Leute gingen Tag und Nacht in dem Haus ein und aus, manche schliefen dort, andere waren nur auf der Durchreise. Johanna war gegen Tagesanbruch hereingestolpert, hatte Platz in seinem Bett gefunden und es sich gemütlich gemacht.
    Als Eldon am zweiten Morgen aufwachte, stellte er fest, dass seine Gitarre, die alte Stella, die er vor seinem Aufbruch oben in Memphis gekauft hatte, verschwunden war. Zum Glück hatte er das Banjo versteckt. Zunächst bestand Butler darauf, ihm Geld für die Gitarre zu geben, dann beschloss er, ihm als Ersatz stattdessen eine neue Santa Cruz zu kaufen, die Eldon jedoch nie bekam.

    Und zwar, weil Eldon ein leeres Haus vorfand, als er am dritten Morgen aufwachte. Er hatte am Abend zuvor in einer Bar gespielt und erinnerte sich, bei seiner Rückkehr gedacht zu haben, wie still das Haus war, doch da war es nach drei Uhr morgens gewesen und er praktisch tot. Todmüde – nicht tot wie die Leiche, die er in der Küche fand, als er sich gegen zehn Uhr morgens in der Hoffnung dorthin schleppte, einen Kaffee zu bekommen.
    Sie lag drüben vor dem Kühlschrank, wo sie auf dem Weg nach unten eine Schneise durch die dort in mehreren Schichten übereinander hängenden Ansichtskarten, Einkaufszetteln, ausgeschnittenen Karikaturen, Fotos, Theaterprogrammen und Magneten gerissen hatte. Das Heft eines Messers, nicht eines Küchenmessers, sondern dem Anschein nach das eines überdimensionierten Taschenmessers oder Jagdmessers, ragte aus ihrem Rücken. Unter ihr Blut, allerdings erstaunlich wenig.
    Es war niemand, den er zuvor schon einmal gesehen hatte.
    Da war Eldon ziemlich sicher.
    Er war den ganzen Abend in der Bar gewesen, spielte Country-Music, und er war in der richtigen Stadt mit seiner Musik, daran bestand überhaupt kein Zweifel. Leute gaben ihm immer wieder Drinks
aus. Er sagte, dass er den »Milk Town Blues« vermutlich vier-oder fünfmal gesungen hatte. Vielleicht sogar öfters – an sein letztes Set konnte er sich nur undeutlich erinnern.
    Er hatte die 911 angerufen, stundenlang geduldig wieder und wieder die Fragen der Polizei beantwortet, obwohl er ihnen herzlich wenig sagen konnte, und
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