Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
Vom Netzwerk:
spuken nicht nur Menschen, sondern auch leblose Gegenstände! Nein: die Sache war und blieb absurd!
    Am nächsten Morgen schrieb ich einen ellenlangen Reuebrief an Kitty und flehte sie an, mein sonderbares Benehmen vom verflossenen Nachmittag zu vergessen. Die Göttin meines Herzens war jedoch noch ziemlich unwirsch, als wir uns später trafen, bis es mir gelang, sie mit einer Beredsamkeit, auf die ich mich die ganze Nacht hindurch präpariert hatte, zu überzeugen, ich sei das Opfer eines Anfalles heftigen Herzklopfens gewesen, die Folge von Magenbeschwerden. Diese einleuchtende Entschuldigung verfehlte ihre Wirkung nicht: Kitty ritt mit mir aus. Aber der Schatten der ersten Lüge stand zwischen uns.
    Nichts liebte sie so sehr wie einen Galopp um den Jakko herum. Nervenerregt noch von der Nacht her, suchte ich es ihr auszureden, schlug den Observatoriumshügel, Jutogh, die Boileaugunge-Straße vor - kurz: alles mögliche, nur der Jakko sollte es nicht sein. Aber Kitty schmollte, schien gekränkt, und schließlich, um nicht abermals einen Mißton aufkommen zu lassen, gab ich nach und wir schlugen den Weg nach Chota-Simla ein. Nach alter Gewohnheit ritten wir die erste Strecke im Schritt, dann setzten wir uns, ungefähr eine Meile vor dem Kloster, in Galopp, da die Straße zum Sanjowlie-Staubecken glatt und eben ist. Die armen Pferde jagten nur so dahin; mir schlug das Herz schneller und schneller, je mehr wir uns der Steigung des Weges näherten. Schon vor Beginn des Rittes hatte ich beständig an Mrs. Wessington denken müssen, jetzt erinnerte mich jeder Zoll der Jakkostraße an sie, an die alten Zeiten, an unsere Spaziergänge, an unsere Gespräche! Die Meilensteine am Wegrand waren voll davon, die Pinien mir zu Häupten schrien mir es zu, die regengeschwollenen Rinnsale gurgelten und glucksten von der schmählichen Geschichte; der Wind sang mir meine Missetat ins Gesicht.
    Der Höhepunkt des Grauens aber erwartete mich an der Straßenbiegung, die im Volksmund »die Meile unsrer lieben Frau« heißt. Da! Wieder die vier Jhampanies in schwarz und weißer Livree! Wieder die gelbgestrichene Rikscha und - das goldblonde Haupt der Frau darin, alles genau so - aufs Haar genau - wie es einst dagestanden vor acht Monaten und vierzehn Tagen! »Diesmal muß es Kitty sehen«, sagte ich mir schreckerfüllt, »sind wir doch so aufeinander abgestimmt und seelenverwandt!«, aber ihre ersten Worte schon belehrten mich eines besseren. »Keine Seele weit und breit!» rief sie. »Komm, Jack, rennen wir um die Wette bis zum Stauwerk!« Und fort wie ein Pfeil schoß ihr sehniger, kleiner Araber; meine Walliser hinterdrein. Ein Galopp von einer halben Minute hatte eine Strecke von fünfzig Metern zwischen uns und die Rikscha gelegt! Bei den Klippen holte ich Kitty ein, parierte mein Pferd und - fuhr zusammen: mitten auf der Straße stand die Rikscha. Und abermals ging der Araber - durch sie hindurch; mein Walliser hinterdrein. »Jack, mein Liebling! Jack, bitte vergib mir!« klang es mir nach in klagendem Ton. Und nach einer Weile: »Es ist ein Mißverständnis, wirklich nur ein häßliches Mißverständnis!«
    Ich spornte meinen Gaul wie ein Besessener. Als ich mich umwandte und, beim Staubecken angelangt, zurückblickte, sah ich, daß die Rikscha immer noch dortstand; die schwarz-weißen Livreen warteten davor, unbeweglich, geduldig, im grauen Bergesschatten, und der Wind trug mir das höhnische Echo der Worte zu, die ich so oft schon gehört hatte. Kitty neckte mich gehörig wegen meiner Schweigsamkeit während des Weiterreitens, zumal ich vorher lebhaft mit ihr geplaudert hatte.
    Wäre es um mein Leben gegangen, ich hätte kein Wort herausgebracht; von Sanjowlie bis zur Kirche schwieg ich wie ein Toter.
    Abends sollte ich bei Mannerings speisen; es blieb mir nur knappe Zeit, nach Haus zu reiten, um mich umzukleiden. Unterwegs auf der Straße nach Elysium Hill wurde ich Zeuge eines Gesprächs, das zwei Männer miteinander in der Dämmerung führten: »Sonderbar«, sagte der eine, »wie von der Erde weggeblasen ist auch die letzte Spur von ihnen! Du weißt ja, meine Frau war geradezu verliebt in die blonde Dame und hat mich beschworen, ich solle die alte gelbe Rikscha ihr zum Andenken kaufen und nachforschen, wo die vier Kulis geblieben seien, um sie mit Geld und guten Worten wieder zur Stelle zu schaffen. Eine verrückte Idee, was? Aber, was tut man nicht alles um des häuslichen Friedens willen!
    Jetzt denk dir mal, was der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher