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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
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Jammer, es läge lediglich ein »Mißverständnis« vor, stets die Hoffnung, wir würden dereinst noch die besten Freunde werden. Wäre ich nicht mit Absicht blind gewesen, ich hätte bemerken müssen, daß nur noch diese Hoffnung allein sie am Leben erhielt; sie wurde von Tag zu Tag durchsichtiger und abgezehrter. Man wird mir zugestehen müssen, daß ihr Verhalten auch so manchen ändern zur Verzweiflung getrieben hätte; es war, da ihre Liebe nicht erwidert wurde, kindisch und unweiblich. Dann wieder - in dunklen, fieberhaft durchwachten Nächten - machte ich mir Vorwürfe, nicht gütiger zu ihr gewesen zu sein; aber wie hätte ich das können! Liebe heucheln, ohne sie zu empfinden, es wäre unser beider unwürdig gewesen.
    Im letzten Jahr trafen wir uns noch einmal; wieder dasselbe Bild: die gleichen flehentlichen Bitten, dieselben rücksichtslosen Antworten von meinen Lippen! Ich wollte ihr endlich begreiflich machen, wie gänzlich verkehrt und hoffnungslos alle ihre Versuche wären, die früheren Beziehungen wieder herzustellen. Je mehr die Saison vorrückte, desto seltener sahen wir uns - das heißt, ich vereitelte nach Möglichkeit die Zusammenkünfte, indem ich Beschäftigung aller Art vorschützte. Wenn ich mir heute in meinem Krankenzimmer die Begebnisse von damals wieder in Ruhe vergegenwärtige, erscheint mir die Saison 1884 wie ein wüster Traum, in dem Licht und Schatten sich phantastisch miteinander vermengen: mein Werben um die kleine Kitty Mannering, mein Hoffen, mein Zagen, meine Befürchtungen um sie, unsere gemeinsamen, weiten Spazierritte, mein schüchternes Liebesgeständnis, ihre Antwort – und zwischen hinein als dunkler Schatten das gelegentliche Vorübergleiten eines bleichen Gesichtes in jener Rikscha, gezogen von schwarz und weiß livrierten Dienern, nach der ich einst in früheren Tagen so eifrig ausgespäht, das Winken von Mrs. Wessingtons behandschuhter Hand - und, wenn sie mich allein traf, was selten mehr geschah, die ermüdende Monotonie ihrer Bitten. Ich liebte Kitty Mannering - habe sie ehrlich und von Herzen geliebt -, aber mit meiner Liebe zu ihr wuchs auch mein Haß gegen Agnes. Im August verlobte ich mich mit Kitty. Tags darauf begegnete ich den verwünschten Jhampanies jenseits des Jakko, und, von plötzlichem Mitleid ergriffen, blieb ich stehen, sagte Mrs. Wessington alles. Sie wußte es bereits.
    »Ich habe von deiner Verlobung gehört, lieber Jack«, - im selben Atem setzte sie hinzu: »Es ist bestimmt nur ein Mißverständnis - ein häßliches Mißverständnis. Wir werden sicher noch die besten Freunde werden, wie wir es jemals waren.«
    Die Antwort, die ich gab, hätte auch einen Mann ins Herz getroffen, das sterbende Weib vor mir traf es wie ein Peitschenhieb. »Bitte, vergib mir, Jack, ich wollte dich nicht erzürnen. Aber es ist wahr, es ist wahr!«
    Und Mrs. Wessington brach vollständig zusammen. Ich wandte mich ab. Ließ sie ihres Weges ziehen. Einen Augenblick lang kam mir zu Bewußtsein, wie unsagbar niederträchtig ich mich benommen hatte, und ich blickte mich nach ihr um. Bemerkte, daß sie ihre Rikscha hatte wenden lassen. In der Absicht, mich wieder einzuholen, nahm ich an.
    Die Szene lebt in allen Nebenumständen wie photographiert in meinem Gedächtnis fort: der regendunkle Himmel, die nassen, schwarzbraunen Kiefern, die schmutzige, durchweichte Straße, und die düsteren zerklüfteten Klippen bildeten einen trüben Hintergrund, gegen den sich die schwarzweißen Livreen der Jhampanies, die gelblackierte Rikscha und Mrs. Wessingtons vornübergeneigter goldblonder Kopf scharf abhoben. Sie hielt ihr Taschentuch in der linken Hand und lehnte erschöpft in den Kissen der Kutsche. Ich lenkte mein Pferd in einen Seitenweg und raste buchstäblich davon, dem Sanjowlie-Staubecken zu. Einmal glaubte ich den schwachen Ruf »Jack« zu hören, aber es mag Einbildung gewesen sein. Ich hielt nicht an, um es festzustellen. Zehn Minuten später begegnete mir Kitty, ebenfalls zu Pferd; und in meiner Freude, mit ihr einen weiten Spazierritt machen zu dürfen, vergaß ich bald, was sich begeben hatte.
    Eine Woche darauf starb Mrs. Wessington, und damit war die schreckliche Bürde ihres irdischen Daseins von mir genommen. Offen gestanden: ich fühlte mich überglücklich, und ehe drei Monate um waren, hatte ich alles, was sie betraf, so gut wie vergessen; nur hie und da, wenn mir gelegentlich einer ihrer alten Briefe unter die Hände kam, erinnerte ich mich an unsere früheren
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