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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
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konnte sie nicht im geringsten trösten.
    Ihr Unheil war, daß sie Georgie Porgie in einer Weise liebte, wie man es nur in englischen Geschichtsbüchern von französischen Mädchen liest, die einen unglücklichen Märtyrer wie einen Heiligen verehren. Eines Tages verschwand sie aus dem Dorf; als Reisezehrung nahm sie außer dem Schatz an Rupien, die ihr Georgie Porgie zurückgelassen, nur die paar Brocken englischer Worte mit, die sie ebenfalls ihm verdankte.
    Der Herr Bürgermeister war anfänglich ergrimmt, aber dann zündete er sich eine frische Cheerut an und machte sich Luft mit ein paar abfälligen Bemerkungen über das weibliche Geschlecht im allgemeinen. Georgina war ausgezogen, um Georgie Porgie zu suchen, gleichgültig, ob er in Rangun weilte oder jenseits des großen schwarzen Wassers, ob er tot war, noch am Leben, oder sonst in einer Lage, von der sie sich kein klares Bild machte. Der Zufall kam ihr zu Hilfe: ein alter Sikh-Polizist erzählte ihr, Georgie Porgie sei hinübergereist über das Große Wasser. Sie löste eine Zwischendeckkarte und fuhr nach Kalkutta, – das Geheimnis, wen sie suche, tief im Herzen verschlossen.
    In Indien verschwand jede Spur von ihr durch volle sechs Wochen; kein Mensch weiß, welchen Herzenskummer sie mit sich herumgetragen haben muß.
    Dann tauchte sie wieder auf vierhundert Meilen nördlich von Kalkutta, in zerrissenen Kleidern, gramdurchfurcht, ruhelos nach Norden wandernd, aber ungebrochen in ihrem Entschluß, Georgie Porgie zu finden. Sie verstand die Sprache der Bevölkerung nicht, aber Indien ist unendlich gastfreundlich und die Frauen der Stämme entlang der großen Schienenstrecke versorgten sie mit Nahrung. Ein inneres Gefühl sagte ihr, sie werde Georgie Porgie am Ende dieses furchtbaren Weges finden. Vielleicht – ja, vielleicht – würde sie einen Sepoy treffen, der ihn von Burma her kannte! Schließlich begegnete sie auch wirklich einem auf dem Marsch begriffenen Regiment und fand unter den vielen Subalternen einen, den Georgie Porgie einst in den Tagen der Menschenjagd auf die Dakoits zu sich zu Tisch geladen hatte. Ein allgemeines Schmunzeln trat ein, als Georgina sich dem Mann zu Füßen warf und zu klagen begann; aber bald verstummten sie alle, als ihre Leidensgeschichte erzählt wurde; man leitete eine Kollekte ein, und das war das richtige. Einer der Subalternen hatte von Georgie Porgies neuer Stellung, nicht aber von seiner Verheiratung gehört; er erzählte Georgina, was er wußte, und, Freude im Herzen, reiste sie weiter nach Norden – diesmal in einem Eisenbahnkupee, wo ihre müden Füße ausruhen konnten und es ein wenig Schatten gab für ihr kleines bestaubtes Köpfchen. Die Wanderung von der Endstation der Bahn durch die Berge war anstrengend über alle Begriffe, aber Georgina hatte ja jetzt Geld und die auf Ochsenkarren reisenden Familien standen ihr bei. Es war eine Reise voller Wunder und Georgina fühlte es wie Gewißheit, daß die guten Geister Burmas über ihr wachten. Die Bergstraße nach Sutrain ist ein eisiger Weg und Georgina zog sich eine schwere Erkältung zu, aber die Hoffnung hielt sie aufrecht: am Ende aller ihrer Leiden stand ja Georgie Porgie, um sie in die Arme zu schließen und zu streicheln wie einst in alten Tagen, wenn das Tor der Blockhütte verschlossen wurde und er sich mit ihr zum Abendessen setzte. Sie eilte vorwärts, so schnell sie konnte, und noch einmal erwiesen die guten Geister ihr eine – letzte – Gunst:
    Ein Engländer hielt sie an – in der Dämmerung – an der Straßenbiegung nach Sutrain – mit den erstaunten Worten: »Um Himmelswillen! Was machst du hier?«
    Es war Gillis, Georgie Porgies ehemaliger Assistent aus Ober-Burma, der den zweiten Stationsposten vor dem Dschungel innegehabt. Georgie Porgie hatte ihn nach Sutrain kommen lassen, da er seine Tüchtigkeit zu schätzen wußte.
    »Ich bin hergekommen«, sagte Georgina schlicht. »Der Weg war so lang und ich mußte Monate hindurch reisen und wandern. Wo ist sein Haus?«
    Gillis rang nach Atem.. Er kannte Georgina zu lang und zu gut, um nicht zu wissen, daß Erklärungen vergeblich sein würden. Man kann Asiaten Dinge nicht erklären, man muß sie ihnen vor Augen führen.
    »Ich werde dich hinführen«, sagte Gillis, nahm Georgina bei der Hand und geleitete sie auf einem Seitenweg einen Hügel hinauf zur Rückseite des Hauses, das auf einer Plattform, tief eingeschnitten in die Berglehne, lag.
    Die Lampen waren soeben erst angezündet worden und
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