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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
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konnte wegen des Regens in seinem Gesicht kaum sehen. Er preßte die Hand vor die Augen und murmelte:
    »O du Scheusal! O du grauenhaftes Scheusal!«
    Die Nachricht von seinem Schicksalsschlag war ihm bereits vorausgeeilt in seinen Bungalow. Er las es in den Augen seines Dieners, Achmed Khan, als dieser ihm das Essen brachte; zum ersten- und letztenmal im Leben legte ihm der Mann die Hand auf die Schulter. »Iß, Sahib! Iß!« sagte er. »Essen ist das beste gegen Kummer. Ich hab's einst auch an mir erfahren. Die Schatten kommen und gehen, Sahib! Die Schatten kommen und gehen. Hier hast du Eier mit Pfeffer.«
    Holden konnte weder essen, noch schlafen. Acht Zoll Regen schüttete der Himmel in dieser Nacht herab und wusch die Erde rein. Die Fluten rissen Mauern nieder, zerstörten die Straßen und wuschen die seichten Gräber der mohammedanischen Begräbnisstätten auf. Den ganzen folgenden Tag regnete es, und Holden saß regungslos in seinem Haus und wühlte in seinem Gram. Am Morgen des dritten Tages erhielt er ein lakonisches Telegramm des Inhalts: »Ricketts, Myndonie, im Sterben. Holden antreten. Sogleich.« Ehe er abreiste, wollte er noch einen Blick tun in das Haus, wo er einst König und Gebieter gewesen. Das Wetter hatte sich aufgehellt; die nasse Erde dampfte.
    Die Regengüsse hatten die Lehmpfeiler beim Tor eingerissen, und das Tor selbst, das einst sein Alles hienieden behütet, hing lose in den Angeln. Drei Zoll hoch war Gras im Hof aufgeschossen; Pir Khans Hütte stand leer und der aufgeweichte Fußboden hatte sich zwischen die Balken hinabgesenkt. Ein graues Eichhörnchen hatte Besitz ergriffen von der Veranda, als sei das Haus unbewohnt gewesen seit dreißig Jahren, statt drei Tagen. Ameeras Mutter hatte alles mit fortgenommen mit Ausnahme einer mottenzerfressenen Decke. Das Ticktick der kleinen Skorpione, wie sie über den Boden liefen, war das einzige Geräusch im Haus. Ameeras Zimmer und das, worin Tota gelebt, waren von Schimmel überzogen, und die Sprossen der Leiter hinauf auf das Dach besudelt mit Wasserschlamm. Holden sah es und ging hin aus auf die Straße; dort kam ihm sein Hausherr, Durga Daß, entgegen, – sauber und stattlich gekleidet in weißem Musselin, ein Ce-Feder-Buggy kutschierend: er wollte seinen Besitz in Augenschein nehmen und nach dem Schaden sehen, den der Regen angerichtet hatte.
    »Ich habe vernommen, Sahib«, begann er, »Sie wollen das Haus verlassen?«
    »Was haben Sie mit ihm vor?«
    »Vielleicht vermiete ich es wieder.«
    »Dann behalte ich es, auch wenn ich nicht hier bin.«
    Durga Daß schwieg eine Weile. »Sie sollten das nicht tun«, sagte er dann. »Als ich noch jung war, hatte ich auch so –. Aber heute bin ich Mitglied der Stadtbehörde. Ho! Ho! Nein. Wenn die Vögel fortgeflogen sind, wozu ist das Nest noch gut? Ich möchte es niederreißen lassen: mit dem Bauholz kann man noch mancherlei kaufen. Es soll eingerissen werden und die Stadt wird eine Straße drüberlegen, wie sie es schon lange will, vom Verbrennungs-Ghaut bis hinüber zur Schanze. Kein Mensch wird später wissen, wo es gestanden hat!«

Georgie Porgie
    »Georgie Porgie, Wurm im Speck,
    Küßt die Mädchen froh und keck;
    Nimmt ihn eins jedoch beim Wort,
    Läuft Georgie Porgie schleunigst fort.«
    Wer es für selbstverständlich hält, früh am Morgen sein Besuchszimmer nicht zu betreten, solange das Stubenmädchen aufräumt und Staub abwischt, der sollte sich auch darüber im klaren sein, daß es nicht angeht, als zivilisierter Mensch, der aus Porzellan speist und eine Visitenkartentasche bei sich trägt, in einem Land mit fremder Kultur die eigenen Sitten und Gebräuche und Ansichten über Recht und Unrecht durchsetzen zu wollen. Wenn das Gebiet einmal umgestaltet und vorbereitet ist – von solchen, die dazu berufen sind, – dann mag er kommen mit seinem Gepäck von Gesellschaftsordnung, seinen zehn Geboten und der übrigen Maschinerie. Wo das Gesetz der Königin noch nicht feststeht, – dort eine strenge Beobachtung anderer und lässiger Vorschriften zu erwarten, ist unvernünftig. Männer, die vorne an der Deichsel des Wagens ziehen, der zu Wohlstand und Besitz führt und die Wege durchs Dschungel ebnet, darf man nicht beurteilen, als seien sie eingesessene Bürger oder Mitglieder der guten Gesellschaft.
    Erst vor wenigen Monaten hatte das Gesetz der Königin wenige Meilen nördlich von Thayetmyo am Irrawaddy halt gemacht. Dort herrschten zwar auch noch keine strengen Gesetze, aber immerhin
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