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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
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Flucht und das Bewußtsein, sich hinterlistig benommen zu haben, vergällte ihm eine Zeitlang die Freiheit, aber als der große Dampfer hinaus in die blaue See fuhr, wurde ihm leichter zumute und die Erinnerungen an Georginas Gesicht, das kleine seltsame Blockhaus, die nächtlichen Überfälle der heulenden Dakoits, der Kampf und der Schrei des ersten Menschen, den er mit eigener Hand getötet, und hundert andere intimere Begebnisse verblaßten immer mehr und mehr in seinem Herzen, – machten der Vision der näher und näher kommenden englischen Heimat Platz. Der Dampfer war überfüllt von urlaub-genießenden, fröhlichen Seelen, die, den Staub und die Hitze Ober-Burmas hinter sich, ausgelassen tollten wie die Schulbuben; dies half Georgie Porgie vergessen.
    Dann kam England mit seinem Luxus, seinen feinen Sitten und Bequemlichkeiten aller Art; Georgie Porgie wanderte wie in einem Wonnetraum durch die Straßen, wie ein Mensch, der das Ausweichen verlernt hat, und konnte sich nicht genug wundern, daß es überhaupt Menschen gab, die auch nur daran denken konnten, dein Stadtleben den Rücken zu kehren. Er empfand dies schwelgerische Auskosten des Urlaubs wie eine Belohnung für seine dem Staate geleisteten Dienste. Aber die Vorsehung hielt noch eine andere und viel schönere Überraschung für ihn bereit: all die Freuden einer geruhsamen englischen Brautwerbung, die so gänzlich verschieden ist von dem eisernen Geschäftssinn des Ostens, wo die ganze Gemeinde im Hintergrund lauert und wettet, wie die Geschichte ausfallen und was Mrs. Soundso dazu sagen wird.
    Ein hübsches Mädchen, ein tadelloser Sommer und ein geräumiges Landhaus bei Petworth, wo Morgen um Morgen Land sich hinzieht, bestanden mit rotem Heidekraut, und feuchte fruchtbare Wiesen mit hohem Gras! Georgie Porgie fühlte, daß er endlich etwas gefunden hatte, was das Leben wertvoll machte, und sein erstes dementsprechend war, daß er das Mädchen fragte, ob sie das Leben mit ihm in Indien teilen wolle. In ihrer Unerfahrenheit willigte sie ein. In diesem Falle war ein Schachern mit einem Dorfbürgermeister überflüssig; es gab eine solide Mittelstandshochzeit auf dem Lande mit einem stattlichen Papa, einer weinenden Mama, einem Brautführer in Purpur und feinem Linnen und sechs stupsnasigen Mädchen aus der Sonntagsschule, die Rosen streuten auf den Weg vom Friedhof bis zur Kirche. Die Lokalzeitung beschrieb das Fest des langen und breiten bis zu den Orgelklängen der Hochzeitshymne, nicht zum wenigsten, weil das Blatt hinsichtlich Stoffmangel am Rande des Hungertodes schwebte.
    Dann Flitterwochen in Arundel. Die Mama weinte vorbildlich, ehe sie einwilligte, daß ihre einzige Tochter unter dem ehelichen Schütze Georgie Porgies nach Indien davonsegle. Über allem Zweifel: er hatte das Mädchen unendlich gern, und sie schaute zu ihm auf wie zu dem besten und bedeutendsten aller Männer. Als er sich in Bombay zum Amtsantritt meldete, fühlte er sich seiner jungen Gattin wegen geradezu verpflichtet, eine möglichst gute Anstellung zu verlangen, und da er offensichtlich im Begriffe stand, seinen in Burma begangenen gesellschaftlichen Fehltritt wieder gutzumachen, bewilligte man ihm fast alles, was er forderte, und wies ihm als Posten eine Station an, die wir Sutrain nennen wollen. Sie lag auf einem Bergplateau und galt als Kurort – wahrscheinlich, weil eine Wasserleitung so gut wie nicht vorhanden war. Hier siedelte sich Georgie Porgie an und empfand gar bald die Ehe als etwas überaus Natürliches. Es kam ihm weder seltsam vor, noch als Gipfelpunkt der Wonne, – wie es bei einem jung verheirateten Mann bisweilen der Fall ist – wenn sich jeden Morgen sein Herzblatt mit ihm zum Frühstück setzte, sondern wie die selbstverständlichste Sache von der Welt.
    »Es war ihm nichts Neues«, wie die Amerikaner sagen, und wenn er die Vorzüge seiner neuen Hulda mit denen Georginas verglich, so neigte er zu der Ansicht, er hätte keinen schlechten Tausch gemacht.
    Jenseits der Bai von Bengalen hingegen, unter den Teak-Bäumen, wo Georgina bei ihrem Vater wohnte und auf Georgie Porgies Heimkehr wartete, herrschte weder Glück noch Seelenfrieden. Der Bürgermeister war ein alter Mann – erinnerte er sich doch noch des Krieges von 1851! Er war einst eine Zeit lang in Rangun gewesen und dort mit der Lebensanschauung der Kullahs bekannt geworden: die trockene Philosophie, die er Georgina beizubringen versuchte, wenn er abends mit ihr vor der Tür seines Hauses saß,
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