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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
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hätte die Ochsen getätschelt und mit dem Zierat gespielt - vielleicht seinetwegen hätte ich mich zur Engländerin machen lassen und wäre gereist. Aber so? Ich will nicht. Sollen die mem-log davonlaufen!«
    »Aber ihre Gatten schicken sie doch fort, Geliebte!«
    »Eine treffliche Ausrede. Seit wann bist du mein Gatte gewesen, um mir zu sagen, was ich tun soll? Ich habe dir lediglich einen Sohn geboren. Du allein bist das Um-und-Auf meiner Seele. Wie könnte ich abreisen mit der Furcht im Herzen: was, wenn dich ein Unheil befällt? Und wenn es auch nur gering wäre wie der Nagel meines kleinen Fingers - und der ist doch gewiß klein, nicht wahr? - ich würde es merken, und wäre ich selbst im Paradies! Und wenn ich denke, du könntest hier sterben im Sommer - ai, jani, - sterben! Ans Sterbebett würden sie dir ein weißes Weib schicken! Sie würde mir deine Liebe rauben!«
    »Liebe entsteht nicht in einem Augenblick und auch nicht auf dem Totenbett.«
    »Was verstehst du von Liebe, du steinernes Herz? Sie würde deinen Dank mit sich nehmen, und das, bei Gott und dem Propheten und bei Bibi Mirjam, der Mutter des Propheten, - das könnte ich nicht ertragen. Mein Herr und Geliebter, sprich nicht mehr so närrisch zu mir von Weggehen! Wo du bist, da bin auch ich. Es ist genug.« Und sie schlang ihren Arm um seinen Nacken und verschloß ihm den Mund mit der Hand.
    Kein Glück ist so überwältigend, wie das unter dem Damoklesschwert! Sie saßen beisammen und lachten - gaben einander Kosenamen, offen und ohne Scheu vor der Eifersucht der Götter. Unten die Stadt wand sich in Qual und Angst; Schwefelfeuer schwelten in den Straßen, die Tritonmuscheln in den Hindutempeln heulten und bellten, denn die Götter waren unaufmerksam in jenen Tagen. Ein Gottesdienst wurde abgehalten vor dem großen mohammedanischen Heiligenschrein, und unaufhörlich tönten die Gebete von den Minaretten. Aus den Häusern erscholl Totenklage und da und dort der Schrei einer Mutter, die ihr Kind verloren hatte und verzweiflungsvoll jammerte, es möge wieder zum Leben erwachen. Sie sahen, wie man die Leichen hinaustrug durch die Stadt, ein kleines klagendes Gefolge hinterdrein, sahen es, küßten sich und schauderten.
    Der Tod hielt eine furchtbare Ernte, denn das Land war krank und brauchte eine Atempause, ehe das ärmliche Leben wieder anfangen konnte, auch nur schwach zu pulsieren. Die Kinder unreifer Väter und unentwickelter Mütter leisteten der Epidemie gar keinen Widerstand; es überfiel sie und sie saßen still, bis das Schwert des Novembers sie hinraffte, wenn das Schicksal es wollte. Auch in die Reihen der Engländer wurden Breschen gerissen, aber immer wieder von neuen Menschen ausgefüllt. Die Hungersnotbehörde trat in Tätigkeit, Cholerabaracken erstanden, Medizinen wurden verteilt, - kurz alle die kleinen, fast wirkungslosen Sanitätsmaßnahmen wurden getroffen, die die Regierung befohlen hatte.
    Holden mußte sich bereit halten, jeden Augenblick seinen Vormann zu ersetzen, falls dieser weggerafft werden sollte. Oft vergingen zwölf Tagesstunden, ehe er Ameera wiedersehen durfte, - sie konnte inzwischen gestorben sein! Er malte sich den namenlosen Schmerz aus, wenn ihn das Los träfe, drei Monate fern von ihr sein zu müssen; oder wenn sie stürbe in seiner Abwesenheit. So gewiß wußte er in seinem Innern, daß sie ihm entrissen werden würde, so unfehlbar gewiß, daß er nur krampfhaft auflachte, als eines Tages Pir Khan atemlos vor ihm stand im Torweg. »Und?« fragte er kurz ---
    »Wenn in der Nacht sich ein Schrei aus der Brust ringt und der Geist die Kehle drosselt, wer hätte da noch einen helfenden Zauberspruch? Komm schnell, Hirnmelsentsprossener! Es ist die schwarze Cholera.«
    Holden raste auf seinem Pferd in gestrecktem Galopp nach Hause. Der Himmel war schwer von Wolken, denn der lang ersehnte Regen hing in der Luft; die Hitze brütete zum Ersticken. Ameeras Mutter kam ihm entgegen in den Hof und winselte: »Sie stirbt. Sie huschelt sich selbst in den Tod hinein. Sie ist fast schon gestorben. Was soll ich tun, Sahib?«
    Ameera lag in dem Zimmer, in dem sie Tota geboren hatte. Sie erkannte Holden nicht mehr, als er eintrat; die menschliche Seele ist ein einsames Wesen: wenn sie sich rüstet zum Aufbruch, schweift sie hinüber in das dunkle Grenzland, in das ihr die Lebenden nicht folgen können. Die schwarze Cholera vollbringt ihr Werk, stumm - erbarmungslos, aber ohne Kampf. Ameera schied aus dem Leben, als hätte der
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