Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling
Autoren: Doris Bezler
Vom Netzwerk:
versöhnlicher sagte er: »Ich will doch gar nicht weg. Noch nicht.«
    »Aber du hast gesagt, es wird dir langsam zu viel hier. Du willst weg, nur noch weg, hast du zu Annalena gesagt.«
    »Ah, belauschen tust du mich auch? Das ist nicht okay!«
    Die dunklen Augen schimmerten in dem weißen Gesichtchen wie nasse Steine. Dazu flüsterte es, als käme es von irgendwoher, nur nicht aus diesem Mund, dessen Lippen eher zitterten als Worte formten: »Du bist so anders geworden. Ich hab Angst um dich!«
    Maurice lachte auf. »Und da willst du mir helfen? Ausgerechnet du ? Mach dich mal locker! Es ist nichts weiter. Ich hab bloß eine harmlose Verabredung.«
    Ein erleichtertes Aufatmen war die Antwort. Dann entstand um den schmallippigen, kleinen Mund ein bitterer Zug. »Du gehst also schnurstracks hin, wenn sie sich mit dir treffen will? So wichtig ist sie dir? Jede Wette, dass du wegen mir nicht mitten in der Nacht hierher gekommen wärst!«
    Maurice lachte herb. »Bist du eifersüchtig, oder was? Wenn ich mich hier mit meiner Freundin treffen will, dann geht dich das gar nichts an.« Die Gestalt zuckte bei der barschen Abfuhr zusammen. Maurice bemühte sich um einen sanfteren Ton. »Es ist besser, wenn du wieder nach Hause gehst. Ich kann dich hier wirklich nicht gebrauchen. Wenn du willst, können wir morgen was zusammen machen.«
    »Ins Kino?«, kam es hoffnungsvoll.
    »Wenn du magst«, brummte Maurice.
    Ein heftiges Nicken war die Antwort.
    Maurice sog schnaubend die Luft ein. »Die Bedingung ist, dass du jetzt schnell verschwindest!«
    Die Gestalt wandte sich auf der Stelle um und lief in Richtung der Bäume. Bevor sie ins Unterholz schlüpfte, drehte sie sich noch einmal um und hob die Hand in seine Richtung. »Wir treffen uns dann morgen in Mittelerde. Versprochen?«
    Maurice hob ebenfalls die Hand und nickte. »Versprochen«, sagte er gedehnt.
    Jetzt verschwand die kleine Gestalt endgültig und Maurice atmete sichtlich auf.
    Wenig später stand er am Bahnsteig. Niemand sonst war dort zu sehen. Er zog sein Handy hervor. Es war zehn Minuten vor Mitternacht. Die nächste Bahn würde erst in einer halben Stunde kommen. Pünktlich könnte Luna also nicht mehr eintreffen. Aber wann sind Mädchen schon einmal pünktlich? Er schrieb ihr eine SMS . Wo bist du?
    Die Antwort kam sofort. Komme gleich. Wart auf mich! Bin ganz scharf. Ikd .
    Maurice runzelte die Stirn. Etwas machte ihn misstrauisch. Sie war ein verrücktes Huhn. Aber SMSen dieser Art passten nicht zu ihr. Hatte sie gekifft?
    Er wählte ihre Nummer. Es läutete. Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Maurice starrte ärgerlich auf das Handy. Schließlich ließ er es zurück in seine Tasche gleiten. Na gut, er würde noch die nächste Bahn abwarten. Aber dann würde er sich wieder auf den Heimweg machen. Er hatte keine Lust mehr auf ihre magischen Spielchen. Sie las zu viele dieser irren Vampirromane. Er schaute sich suchend um. Keine Menschenseele weit und breit!
    Und wenn die SMS von einer anderen Person kam? War das möglich? Luna war nicht nur launisch, sondern zuweilen auch sehr zerstreut. Wie oft suchte sie ihr Handy? Aber warum sollte jemand ihn auf diese Weise hierher bestellen? Mit bösen Absichten? Am Ende war es gar …? Nein, das war nicht möglich! Völlig absurd! So absurd, dass Maurice böse lächelnd den Kopf schütteln musste. Eine finstere Heiterkeit breitete sich in ihm aus. Niemals! Das würde der nicht wagen! Maurice legte die Hände wie einen Trichter vor den Mund und rief: »Hey, altes Monster, bin ich jetzt das Problem für dich? Komm raus aus der Deckung, du feige Sau! Ich habe keine Angst vor dir! Es ist mein Leben! Meines ganz allein!« Seine letzten Worte brachte er nur noch schluchzend hervor.
    Wütend wischte er sich über die Augen. Reiß dich zusammen, Maurice. Erneut ließ er die Blicke über den menschleeren Bahnsteig wandern und blieb an dem Schriftzug der Haltestelle hängen, der schwarz auf weiß in großen Blockbuchstaben an der Wand des kleinen Bahnhofsgebäudes angebracht war. Plötzlich kam ihm eine Idee. Maurice tastete in den Taschen nach dem Stift. Er war da. Ein dicker schwarzer Permanentmarker! Ein Muss für jede Schülertasche, wenn man auf Schulbänken oder an den Wänden des Schulklos Schriftzüge übermalen, ergänzen oder neu anbringen musste. Auf Zehenspitzen und mit weit ausgestrecktem Arm machte er sich ans Werk. Dann trat er einen Schritt zurück und musterte zufrieden das Ergebnis. Die Aufschrift
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher