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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling
Autoren: Doris Bezler
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Bank was ins Handy. Einige grinsten mich blöd an. Aber ansonsten friedliches Schweigen.
    Dann schob dieser Pöppel mit dem Feingefühl einer Mülltonne meinen vollen Namen hinterher: Maximillian Friedhelm Wirsing. Alles tobte vor Lachen. Popel rastete aus, brüllte in die tobende Meute. Irgendwann waren sie still und ich sah in ihren lüsternen Augen, was ich ab jetzt für die war. Der Pöppel legte allerdings noch einen drauf und fragte, wie ich denn genannt werden will: Max oder lieber …? Schon riefen sie aus der Klasse mit Comic-Stimmen: Maxi! Friedi! Wirsi! Aaaaach wie süß, stöhnte eine Blonde. Das war Annalena. Sie ist ein Superweib mit blonden Haaren, langen Beinen und einem Hintern in der Jeans, dass einem ganz schwindelig wird und die eigene Jeans zwei Nummern zu klein.
    Ich muss zugeben, es hat mich damals am meisten angenervt, dass ausgerechnet sie sich ihren Spaß mit mir machte. Natürlich war mir klar, dass ich bei einem solchen Mädchen niemals landen könnte. (Dass sich das später änderte, zählt zu den sieben Weltwundern meines Lebens.) Gefallen hat sie mir schon damals, und mir wurde in ihrer Nähe immer heiß, was alle anderen, vor allem Jonas, Zündstoff für die blödesten Bemerkungen und Aktionen gab. Denn bei meiner hellen Haut glüh ich wie ein Streichholz.
    Trotz allem hatte ich an dem Morgen Glück, weil sich alle unbedingt von ihren tollen Urlaubserlebnissen erzählen mussten und schnell das Interesse an mir verloren. Ich hätte sowieso nicht mithalten können, denn Kistenschleppen in Modertal ist ja nicht gerade das ultimative Event, mit dem man punkten kann. Sie plapperten alle wild durcheinander und übersahen mich einfach, was mir am liebsten war.
    Ich versuchte, aus ihren Erzählungen etwas aufzuschnappen und abzuspeichern. Es ist besser, seine Feinde zu kennen. Schon damals fiel mir auf, dass es für einen kurzen Moment absolut still wurde, als jemand den Namen Maurice nannte. Sie tauschten Blicke aus, dann zwitscherten sie plötzlich weiter wie die Stare in Omas Kirschbaum.
    Irgendwann war dieser schreckliche Schultag zu Ende und die Meute verteilte sich zu Fuß oder mit Fahrrad oder »Taxi Mama« ins Umland. Einige nahmen den Weg wie ich durch das Wäldchen Richtung Modertal. Manche wohnten dort, aber viele mussten auch zur S-Bahn-Haltestelle. Ich wartete, bis der Pulk schnatternd abgezogen war. Dann schlich ich ihnen mit Abstand hinterher. Ich war fest entschlossen, dies als meinen letzten Schultag mit diesem Haufen in die Geschichte eingehen zu lassen. Ich wollte zurück an meine alte Schule. Auch wenn es nicht stimmte, erschien die mir im Rückblick wie ein Paradies mit lauter netten Lehrern und Mitschülern. Ich nahm mir vor, meinen Eltern das Angebot zu machen, für das Fahrtgeld jobben zu gehen. Sie würden dann noch andere Gründe nennen, zum Beispiel das frühe Aufstehen, die Fahrtzeit usw. Um besser argumentieren zu können, ging ich zum S-Bahnhof, an dem kaum noch jemand stand, und wollte den Fahrplan studieren. Da sah ich, dass unter dem Glaskasten mit dem Fahrplan, der auf Metallstelzen steht, sich Berge von Blumen häuften. Ein wildes Durcheinander von Botanik! Ich dachte, wer kippt denn so was hier aus? Und dachte gleichzeitig an den Geburtstag meiner Mutter. Shit! Ich wusste, dass sie früher nach Hause kommt, weil wir im Garten grillen und sie dafür noch einiges vorbereiten wollte. Und ich hatte nicht einen Cent mehr, um ihr etwas mitzubringen. Einige von den Blumen sahen noch ganz brauchbar aus, also begann ich, sie auszusortieren und zu einem Superstrauß zusammenzubinden, der deutlich besser als »Marke Tankstelle« aussah. Als ich fast fertig war, kam plötzlich vom anderen Bahnsteig her eine kleine Kugel mit zwei Beinen auf mich zugeschossen. Oben drauf hatte sie einen Kopf mit wilden, dunklen Locken. Ihr Gesicht sah ich erst, nachdem sie die Haare wütend über die Schultern geworfen hatte und mich übelst anmachte: Was geht, ey? Wie schräg bist du denn drauf? Leg die sofort wieder hin, aber avanti! Damit war mir klar: Aha, die hat einen italienischen Migrationshintergrund. In Italien soll dieser Ton an der Tagesordnung sein. Die kreischen immer und meinen es gar nicht so. Also nahm ich sie nicht ernst. Auch wenn ich damals nicht gerade das Superselbstbewusstsein hatte, aber vor so einer kleinen Kugel hatte selbst ich keine Angst. Ich sagte also ganz ruhig: Nee, fällt mir nicht ein, und jetzt mach dich mal vom Acker! Dann bückte ich mich, um die
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