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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling
Autoren: Doris Bezler
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nächste Blume aufzuheben. Plötzlich schlug sie mir die aus der Hand und fauchte: Leg sie alle sofort wieder hin, sonst bist du tot! Das sah bei ihr ziemlich lächerlich aus. Sie geht mir gerade bis zur Brust. Nee, bestimmt nicht! Du hast sie ja nicht alle, du Kugelmonster!, jokte ich.
    Inzwischen weiß ich, wie schlimm ich sie damit getroffen habe und wie aufgewühlt sie durch meine Blumenklauerei war. Damals verstand ich das nicht, sondern lachte, während sie Rotz und Wasser flennte. Das ist eine Gedenkstätte, schluchzte sie. Der Komposthaufen?, fragte ich. Sie jaulte mich an: Heute Morgen hast du mir noch leid getan, und ich fand es ziemlich unfair, wie sie mit dir umgegangen sind, aber jetzt weiß ich, dass es genau richtig war! Du bist ja völlig gaga, Maximillian Friedhelm Grünkohl! Dann rollte sie davon.
    Ich sah ihr nach und merkte, dass ich da gerade einen ziemlichen Fehler gemacht hatte. Die ging also auch in die 10e, dunkel erinnerte ich mich, aber in diesem wabernden Grimassenhaufen war sie mir nicht sonderlich aufgefallen. Ich hatte also meine Chance verspielt, wenigstens eine Seele auf meiner Seite zu haben. Im Gegenteil, sie war ab jetzt Feindin Nr. 1.
    Heute tut mir das riesig leid, dass ich mich damals so blöd benommen habe. Sorry, Chiara, aber ich hatte ja nicht die geringste Ahnung! Erst ganz langsam im Laufe der Zeit fing ich an, die Zusammenhänge zu begreifen. Das war gar nicht so einfach, denn wenn ich eine von den Figuren in meiner Klasse fragte, bekam ich nur äußerst knappe Auskünfte und zwischen Chiara und mir herrschte ohnehin Funkstille. Woher sollte ich denn auch ahnen, dass sie die Stiefschwester von Maurice war, der wie sie in diese Klasse gegangen war? Chiara hat einen anderen Familiennamen. Sie heißt Chiara Plati. Maurice hieß von Bentheim mit Nachnamen. Sie haben zusammen mit ihren Eltern in dieser alten Villa mit Erkern und Türmchen gewohnt, die man in Modertal das »Bentheim-Schlösschen« nennt. Manche spotten auch und sagen »Disneyland« dazu oder »Neu Bentstein«. Daran merkt man, dass die Leute den von Bentheims nicht gerade freundlich gesinnt sind. Die bunkern sich aber auch ein in ihrem Nobeltempel, ähnlich wie die Fürsten von einst, und lassen keinen an sich ran.
    Um die Villa ist ein großer Park mit einem hohen Zaun aus Eisenstäben. Noch heute kommt es nur äußerst selten vor, dass ich Chiara mal besuche. Sie blockt immer ab und schlägt dann einen Treffpunkt irgendwo außerhalb vor oder bei mir. Bei mir kommt aber alle Schlag meine Oma rein und fragt, ob wir noch Tee wollen oder Kekse oder Saft oder ob ich ihr mal gerade was unten aus dem Keller holen könnte oder, oder …
    Sie hat wohl Angst, ich raube Chiara die Unschuld und Oma kriegt dann Probleme mit Herrn von Bentheim. Der sitzt nämlich in der Verwaltung unserer Siedlung und hat dort viel Einfluss. Man sagt, er sei ein ziemlicher Hardliner, wenn es um die Durchsetzung seiner Interessen geht, ein Geschäftsmann eben. Er hat eine Immobilien- und eine Baufirma. Ihm gehören viele Grundstücke und Mietshäuser, unter anderem auch die großen Blocks an der Klapperwiese. Die Straße dort heißt Hasenpfad und alle Modertaler, die nicht dort wohnen, nennen es Harzerpfad. Da weiß man dann schon, wer da wohnt.
    Der Klingelton eines Handys riss Max aus seinen Gedanken. Er schob die Bettdecke zur Seite und tastete wie verschlafen nach seinem Telefon, das auf dem Schreibtischstuhl vor seinem Bett lag. Für einen ordentlichen Nachttisch war in dem engen Dachzimmer kein Platz gewesen. Außerdem empfand Max ein solches Möbelstück als äußerst spießig. Dicht an das Kopfende seines Bettes schloss sich der Schreibtisch an, der unter die schmale Fensterbank des Gaubenfensters geklemmt war, um möglichst viel Tageslicht nutzen zu können. Max hielt das Handy vors Gesicht und blinzelte im Dämmer seiner Betthöhle auf das Display. Er zuckte zusammen. Chiara! Sofort drückte er die Taste. Ihre Stimme klang abgehackt.
    »Endlich einmal Netz«, sagte sie. »Ausflug nach Donnafugata« und »alles schrecklich« verstand er. Aus den nächsten Versatzstücken schloss er, dass sie nicht vorhatte, noch länger zu bleiben und versuchte, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Dann war die Verbindung unterbrochen. Er konnte ihr gar nicht mehr sagen, wie froh er war, dass sie bald wieder bei ihm sein würde.
    Mit einem Grinsen auf dem Gesicht kraulte er Schorsch, der lang ausgestreckt am Fußende des Bettes lag, hinter
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