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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling
Autoren: Doris Bezler
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Maßnahme der Schule. Kinder mit Problemen im Sozialverhalten, die in jedem normalen Sportverein rausfliegen oder gar nicht erst hingehen würden, sollen dort gemeinsam nach Regeln spielen lernen. Wir machen Ball- und Laufspiele, damit sie mal richtig Gas geben und Dampf ablassen können, aber auch Gesellschaftsspiele. Echt, so was Simples wie Uno, Mau Mau, Schwarzer Peter, Memory oder am schlimmsten: Mensch ärgere dich nicht können die nicht aushalten. Die ticken schnell aus, schmeißen heulend die Spielsteine auf den Tisch, wenn sie einer rausschmeißt, oder treten alles zusammen, wenn sie mal ein Spiel verloren haben. So was in der Art wird von mir erzählt, als ich drei war. Aber diese Kinder, vorwiegend Jungs, sind zwischen zehn und dreizehn! Unsere Aufgabe ist es, mit ihnen »Frustrationstoleranz« zu üben, also eigentlich das, was unsereins täglich macht, wenn in Mathe mal wieder ’ne Fünf reinfliegt und man damit klarkommen muss. Ich hab eigentlich kein Problem, so was wegzustecken, aber Andreas und Sonja sollten mal in der AG vorbeischauen, um an ihrer Frustrationstoleranz zu arbeiten.
    Geleitet wird die AG eigentlich von Herrn Maurer. Der sieht selbst aus wie ein wandelndes Fitnessstudio. Braun gebrannt und sehnig wie ein alter Indianer. Die Schüler nennen ihn daher auch Old Schepperhand. Es geht das Gerücht, dass er dem ein oder anderen schon einmal unter vier Augen eine gescheppert hat. Mit der Zeit wurden so viele Schüler in die AG gesteckt, dass die Gruppe geteilt wurde. Old Schepperhand hat die Gruppe mit den Hardcore-Fällen übernommen. Die andere Gruppe, in der »nur« die Hippeligen und Unkonzentrierten herumaffen, betreuen zwei Schülerscouts, die sich so ihr Taschengeld verdienen, was für mich dann ab Februar im Schornstein ist. Bis dahin muss ich mir was anderes suchen. Das ist hier in Modertal gar nicht so einfach, und in der Stadt muss man die Fahrtkosten wieder abziehen.
    Der Zoff mit Tobias gestern geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Wieso wurde der am Schluss so gemein und sagt vor Annalena zu mir, ich hätte keine eigene Persönlichkeit und würde alles nur Maurice nachmachen wollen? Am Anfang hat das vielleicht gestimmt. Wenn ich ehrlich bin, gab es sogar Phasen, da war ich besessen von dem Gedanken, Maurice sei mein Zwillingsbruder, und wir wären beide von den Eltern weggegeben und danach getrennt worden. Aber jetzt ist es schon lange nicht mehr so. Jetzt will ich eigentlich nur noch wissen, was mit ihm passiert ist, vor allem wegen Chiara, schließlich war er ihr Stiefbruder.
    Dass ich mich überhaupt so in die Geschichte mit Maurice reingesteigert habe, kam eigentlich durch einen blöden Zufall. Es war kurz vor den Herbstferien. Irgendwie hatte ich mich mit den Gestalten in meiner Klasse arrangiert. Ich ging ihnen aus dem Weg und um Chiara machte ich einen noch größeren Bogen als um die anderen. Bis auf kleine Jokes, über die nur sie lachen konnten, ließen sie mich in Ruhe. Ich hatte sowieso wenig Chancen, mitzukriegen, was bei denen so läuft, denn ich konnte ja nicht ins Internet und einen Account bei Facebook hatte ich eh nicht. Wieso auch, wenn ich kein vorzeigbares Face hatte? Außerdem hatte ich keine Lust, täglich eine leere Freundesliste zu checken. Insofern waren die anderen jeden Morgen vor der Schule immer schon besser informiert als ich.
    Ich wusste also nicht, dass Annalena an dem Tag ihren 16. Geburtstag feierte. Herr Weigmann saß vorne und kümmerte sich ums Klassenbuch. Nach und nach trudelte einer nach dem anderen ein. (Ich sehe immer zu, dass ich morgens der Erste im Klassenraum bin, damit ich checken kann, ob jemand mir was Stinkendes unter die Bank gelegt oder die Schrauben aus meinem Stuhl gedreht hat. Das war schon ein paarmal passiert.) Als Annalena reinkam, jaulten sie plötzlich los: Häppi Börsdäi tu juhuhu. Ich brummte ein bisschen aus dem Backspace mit. Die Girlies fielen Annalena anschließend reihenweise um den Hals. Kiss, kiss! Überreichten Geschenke. Die Kerle pirschten sich vorsichtiger ran. Diejenigen, die in der Klasse den Ton angeben, wie Marc und Felix, kamen als Erste an die Reihe, durften Annalena sogar mal kurz und fest drücken und ihre Schulter tätscheln. Die anderen gaben artig Pfote. Ich blieb in sicherer Entfernung und beobachtete die Schau. Neben mir bückte sich Jonas, fummelte was an seinen Schuhen und sagte zu mir: Tu mir den Gefallen und gib ihr schnell mein Geschenk da, ich kann jetzt nicht. Über ihm auf der Bank
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