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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling
Autoren: Doris Bezler
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unauffällig entsorgt, was gar nicht so einfach war. Seitdem habe ich eine Todesangst um Schorsch. Das ist mein Cockerspaniel, den ich nicht mehr aus den Augen lasse. Seit die Weihnachtsferien angefangen haben, bekomme ich diese merkwürdigen Briefe, in denen immer derselbe Satz steht. Keine Ahnung, wer Grund hat, mir so was zu schreiben.
    Immerhin habe ich eine Chance herauszufinden, wer hinter der Sache mit dem Fisch steckt. Es muss jemand sein, der an den Generalschlüssel für die Schließfächer kommt. Jonas? Das würde dem Oberwitzbold unserer Klasse ähnlich sehen, sich einen so saudummen Scherz auszudenken. In diesem Fall habe ich dem Vollpfosten durch mein Schweigen leider die Pointe genommen.
    Aber was, wenn es nicht Jonas war und der Fischetäter identisch mit dem Briefeschreiber ist? Die Briefe kann man eigentlich nicht mehr unter »Joke« einordnen. Das geht eine Nummer zu weit! Wenn ich herauskriege, wer das ist, hat der ein Problem, aber hallo!
    Manchmal denke ich, es ist nur jemand, dem es Spaß macht, anderen einen Schrecken einzujagen, und dass ich unter Verfolgungswahn leide. Es gibt aber auch Momente, in denen ich nicht so gut drauf bin und dann denke ich, da gibt es eine ganz schräge Gestalt, einen fürchterlich abgedrehten, gefährlichen Typ, der kein anderer ist als Maurice’ Mörder und der nichts anderes will, als mich daran zu hindern, ihn zu finden. Der Hauptgrund, warum ich ab heute Tagebuch schreibe, ist also, dass ich diese ganze unmögliche Story zu Papier bringen werde. Ich werde mich nicht kirre machen lassen, sondern weiter nachforschen. Anscheinend bin ich durch mein Stöbern in Maurice’ Leben jemandem sehr nahe gekommen (ohne es zu ahnen). Ich lass mich nicht aus der Spur bringen, und ich werde keine Ruhe geben, bis ich endlich die Wahrheit herausgefunden habe! Das ist das Einzige, was ich jetzt noch für Maurice tun kann. Er hat so viel für mich getan. Das klingt ein bisschen gaga, aber das ist echt so: Maurice ist inzwischen so was wie mein Schatten, immer in meiner Nähe. Er redet mit mir von irgendwo aus dem Orbit, wir denken gemeinsam nach. Er ist und bleibt mein dunkler Zwilling. So, und jetzt schön der Reihe nach.
    Zuerst mal zu mir. Ich bin 15 Jahre alt und heiße Maximillian Friedhelm Wirsing. Brüller! Ja, ich weiß, mein Name ist so etwas wie eine Mobbing-Garantie. Vor allem, wenn man dann noch so aussieht wie ich, jedenfalls wie ich aussah, damals, letzten Sommer. Ich lege mal ein Foto von mir bei, das meine Mutter gleich am ersten Tag hier vor unserem »neuen« Heim geschossen hat. Ich steh da wie ein Fragezeichen, dünn und spillerig. Knochige Knie beulen sich aus viel zu weiten Shorts. Shorts, die meine Mama selbst genäht hat – sozusagen mit »homemade by Mama«-Label. Oberpeinlich! Dazu Kniestrümpfe und Turnschuhe. Kinnlange Spaghettihaare! Hornbrille! Voll der Lauch! Ich muss mich wirklich nicht wundern, warum die damals solche Gesichter gemacht haben, als ich als Neuer vor der Klasse stand. Im Nachhinein muss ich sagen, war das schon obernett von ihnen, dass sie mir nichts getan, sondern mich einfach nur links liegen gelassen haben.
    Letzten Sommer also, genauer gesagt im Juli, bin ich mit meinen Eltern nach Modertal gezogen. Ich kannte das schon von Besuchen bei meiner Oma. Kleiner Vorort. Inzwischen mit S-Bahn-Anschluss. 30 Minuten Takt. 30 Minuten bis zur Innenstadt. Das geht gerade noch, um sich nicht völlig wie auf dem Kaff zu fühlen. Oma wohnt in einem hundert Jahre alten Siedlungshäuschen aus Backsteinen, die inzwischen mehr schwarz als rot sind. Überhaupt sehen Haus und Garten bei ihr ziemlich vergammelt aus. Das fällt besonders auf, weil sämtliche Nachbarn rundherum ihre Häuser verputzt und die Gärten mit Formschnitt und Gartenzwergen spießermäßig voll aufgerüstet haben. Bei meiner Oma wuchern die alten Obstbäume und die Brombeerhecken vor sich hin. Es gibt sogar noch einen Hühnerstall mit Hühnern, was die Nachbarn längst nicht mehr haben. Die gehen in den Supermarkt, kaufen Bioeier und beschweren sich fürchterlich, wenn sich mal eines von Omas Hühnern zu ihnen zwischen die Rosen verirrt. Als Kind war es für mich das Paradies. Überall konnte ich Löcher graben und Hütten bauen. Das hat nie jemanden gestört. Eine meiner zusammengenagelten Bretterbuden steht sogar heute noch.
    Weil meine Oma nicht mehr so gut alleine zurechtkommt, haben meine Eltern also beschlossen, raus aus der Stadt zu ihr nach Modertal zu ziehen. Das ist
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