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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn
Autoren: Wulf Dorn
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Anschluss?
    Jan musste schlucken. Es gab schließlich nur eine plausible Erklärung: Volker Nowak war etwas zugestoßen. Wahrscheinlich ein Unfall auf dem Weg zum Pub, während Jan hier in aller Seelenruhe sein Abendessen verspeist hatte.
    »Was ist los? Warum …«
    »Was wollten Sie denn von Herrn Nowak?«
    »Wir waren verabredet, aber er ist nicht gekommen.«
    »Ah ja«, hörte er Kröger sagen. »Tja, es tut mir sehr leid, Dr. Forstner, aber ich habe eine schlechte Nachricht für Sie. Herr Nowak ist tot.«

4
    Jan erreichte Volker Nowaks Haus genau in dem Moment, als der Leichenwagen durch die Polizeiabsperrung gelassen wurde. Blaulichtgewitter spiegelte sich auf dem nassen
Asphalt und blendete ihn. Durch den strömenden Regen auf der Windschutzscheibe wirkten die Polizisten mit ihren reflektierenden Jacken wie geisterhafte Schemen.
    Er hielt hinter einem der Polizeifahrzeuge und schob sich an den Schaulustigen vorbei, die sich unter Schirmen und Plastikumhängen vor der Absperrung drängten. Dann entdeckte er Kröger, der gerade die beiden Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens zum Hinterhof wies, und rief ihm zu.
    Heinz Kröger wischte sich mit der Hand übers Gesicht und kam zu ihm herüber. Sie hatten sich zuletzt bei einem Wohltätigkeitsbasar vor drei Monaten gesehen, und Jan überlegte, ob der Leiter der Fahlenberger Polizei seither noch ein paar Kilos zugelegt haben konnte. Sein Gang war watschelnd und schwerfälliger denn je, und als er schließlich bei Jan angekommen war, schnaufte er, als sei er auf ihn zugerannt.
    »Danke, dass Sie gleich gekommen sind.«
    Kröger wischte sich abermals übers Gesicht, doch der Regen floss unaufhörlich weiter an der Blende seiner Mütze vorbei über die geröteten Wangen. Sein übriges Gesicht war ungesund bleich, so dass es aussah, als hätte er Rouge aufgetragen.
    »Himmel, was für ein Mistwetter«, stöhnte er. »Die reinste Sintflut. Wird wirklich Zeit für meine Pensionierung. Allmählich fühle ich mich zu alt für so etwas. Erst recht nach dem, was ich da hinten gesehen habe.«
    Jan spürte einen säuerlichen Geschmack im Mund und versuchte, nicht an das Steaksandwich von vorhin zu denken. »Was genau ist denn passiert?«
    »Kommen Sie mit«, sagte Kröger und ging los, ohne auf Jan zu warten.
    Jan folgte ihm, und sie stellten sich unter das Vordach
des Kellerabgangs an der Rückseite des Hauses. Von dort aus konnte man den Innenhof überblicken.
    Auf den markierten Parkplätzen standen drei Fahrzeuge. Volker Nowak hatte einen blauen Seat Ibiza gefahren, der nun von vier Beamten der Spurensicherung untersucht wurde. In ihren weißen Plastikoveralls sahen sie wie Gespenster aus.
    Kröger zeigte zu ihnen hinüber. »Der verdammte Regen ist unser größter Feind. Je nachdem, wie lange Nowak schon so dagelegen hat, werden wir nicht mehr viel finden.«
    Jan beobachtete die beiden Angestellten des Bestattungsinstituts, die den Toten in einen Plastiksarg legten. Sie beeilten sich, und mit ihren Rücken verdeckten sie ihm die Sicht, doch Jan fiel auf, dass Nowaks Kopf wie der einer Marionette hin und her baumelte, als sei sein Genick gebrochen. Ansonsten wirkte der Körper unversehrt. Nach Krögers Andeutung von vorhin hatte Jan Blut zu sehen erwartet, doch dem war nicht so. Trotzdem hatte er den Eindruck, die beiden Männer hatten es nicht nur wegen des Regens so eilig, den Deckel zu schließen.
    »Wer hat ihn gefunden?«
    »Eine junge Frau aus dem Nachbarhaus, die hier einen der Parkplätze gemietet hat. Sie kam von der Arbeit nach Hause und sah die Innenbeleuchtung seines Wagens brennen. Die Tür war halb geöffnet, und Nowak …« Kröger sprach nicht zu Ende und schnaufte, als trüge er eine schwere Last. Mit düsterem Blick starrte er auf den Sarg. »Ich habe in meiner langen Laufbahn schon viele Tote zu Gesicht bekommen«, sagte er leise. »Unfallopfer, Selbstmörder und einmal die mumifizierte Leiche einer alten Frau, die wochenlang von niemandem vermisst worden war. Das sind schlimme Erlebnisse, aber irgendwie findet
man sich damit zurecht. Das gehört zum Beruf. Aber das da …« Er fuhr sich wieder übers Gesicht, doch diesmal nicht des Regens wegen. »Mord ist etwas so Sinnloses. So etwas geht mir richtig an die Nieren. Ich meine, warum tut jemand so etwas? Was veranlasst jemanden, den Kopf eines anderen Menschen zwischen A-Säule und Fahrertür zu zerren und sich so lange gegen die Tür zu werfen, bis der andere an seinem gebrochenen Kehlkopf erstickt?
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