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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn
Autoren: Wulf Dorn
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großen Augen starrte sie zum Eingang der Seitenkapelle neben dem Altar. In dessen Goldornamenten spiegelte sich Feuerschein und verhieß nichts Gutes.
    Edith Badtke entwich ein fassungsloses »Um Himmels willen!« Dann eilte sie den Seitengang entlang, die beiden
Sträuße weiterhin fest umklammernd, und das Klacken ihrer Absätze hallte vom hohen Deckengewölbe wie Hammerschläge wider.
    An der Kapelle angekommen, blieb sie abrupt stehen. Entgeistert starrte sie in den kleinen Raum. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen.

6
    Mirko Davolic war ein gut aussehender junger Mann. Äußerst gut aussehend, wie Jan ihm nicht ganz ohne Neid zugestehen musste. Athletische Statur, dunkler Teint, schulterlanges schwarzes Haar, wasserblaue Augen und ein Gesicht, das man auf dem Titelbild eines Hochglanzmagazins hätte zeigen können. Selbst die kleine Narbe auf seiner Wange, die durch den gepflegten Dreitagebart schimmerte, wirkte irgendwie passend.
    Dennoch hatte Davolic bei seiner Einweisung in die Waldklinik wie ein Häufchen Elend gewirkt. Wie er Jan erzählt hatte, war er drauf und dran gewesen, sich das Leben zu nehmen, nachdem er seinen Job in einer Eisengießerei verloren hatte. Dort hatte er fast zehn Jahre gearbeitet, bis der Betrieb Konkurs anmelden musste. Danach fand der ungelernte junge Mann keine neue Stelle mehr, wurde zunehmend depressiv und verkroch sich irgendwann nur noch ins Bett, bis ihm sein Vermieter auch noch die Wohnung kündigte.
    Verschuldet und ohne feste Bleibe war Davolic durch die Gegend geirrt und hatte sich schließlich auf der Donaubrücke am Fahlenberger Stadtrand wiedergefunden.
Durch einen Zufall, den der Patient im späteren Verlauf seiner Therapie als »Gottes Wille« bezeichnet hatte, war er einer Polizeistreife aufgefallen, die ihn von dem Sprung in den Tod abhielt und in die psychiatrische Klinik brachte.
    Seither waren vier Monate vergangen, und aus dem einstigen Häufchen Elend war wieder ein zuversichtlicher junger Mann geworden, der es schaffte, sämtliche Schwestern auf seiner Station mit einem einzigen Blick dahinschmelzen zu lassen.
    »Das hab ich Ihnen zu verdanken, Dr. Forstner«, verkündete er in einem Akzent, der seine albanische Abstammung verriet, und lehnte sich leger im Stuhl zurück. »Wegen Ihnen geht’s mir jetzt wieder gut.«
    Jan winkte ab. »Bedanken Sie sich bei sich selbst. Ich habe Ihnen nur den Weg aus dem Tal gezeigt. Gegangen sind Sie ihn selber.«
    Davolic strahlte. »Das haben Sie sehr schön gesagt. Ja, ich hab’s geschafft. War ja auch wirklich Zeit. Jetzt hab ich auch wieder eine Wohnung und einen Job. Alles wird wieder gut.«
    Überrascht sah Jan in den Entlassungsbericht. »Sie haben wieder Arbeit? Davon wusste ich noch gar nichts.«
    Davolic rutschte auf seinem Stuhl nach vorn und wirkte ein wenig verlegen. »Ich wollte der Sozialarbeiterin nichts davon sagen«, erklärte er mit gesenkter Stimme. »Aber morgen geht’s dann los.«
    »Was für eine Arbeit ist es denn?«
    Nun wich Davolic Jans Blick aus. »Nicht falsch verstehen, Doktor, aber darüber will ich eigentlich nicht reden.«
    »Ich hoffe, es ist nichts Illegales?«
    Der junge Mann machte eine abwehrende Geste, die ein wenig übertrieben wirkte. »Nein, nein! Keine Angst.
Ist halt bloß … also, ich werde gutes Geld verdienen und kann mein Zimmer bezahlen.«
    »Na dann«, sagte Jan und verstand. Davolic war nicht sein erster Patient, der sich um einen Job bemühen musste, um den jeder andere lieber einen weiten Bogen machte. Und wer erzählte schon gern, dass er bei der städtischen Putzkolonne öffentliche Toiletten reinigte oder frühmorgens in der Innenstadt Müll vom Pflaster fegte?
    Jan machte sich eine Notiz in dem Bericht, wünschte seinem Patienten alles Gute und verabschiedete ihn.
    In der Tür blieb Davolic noch einmal stehen und grinste Jan an. »Nehmen Sie’s mir nicht übel, Doktor, Sie sind echt voll nett und so, aber ich hoffe, wir sehn uns nie wieder. «
    Jan nickte. »Das hoffe ich auch. Zumindest nicht hier.«
    Mit einer kleinen Sporttasche, die seine ganzen Habseligkeiten enthielt, marschierte Davolic aus dem Stationsgebäude.
    Schwester Bettina, die gerade mit der Hauspost den Gang entlangkam, sah sich nach ihm um und kam dann auf Jan zu.
    »Gut aussehender Kerl, nicht wahr?«, feixte Jan, doch Bettina schüttelte nur den Kopf.
    »Was nützt eine tolle Hülle, wenn sie nur Luft enthält ?« Sie drückte Jan die Post in die Hand. »Der mag vielleicht nett fürs Auge
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