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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete
Autoren: Sharon Bolton
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Verletzung, bei Weitem nicht. Mir fiel wieder ein, dass ich einmal gehört hatte, der weibliche Körper enthielte ungefähr fünf Liter Blut. Ich hatte mir allerdings nie Gedanken darüber gemacht, wie es wohl aussehen würde, wenn das alles auslief.

2
    »Mir fehlt nichts, ich bin nicht verletzt. Das ist nicht mein Blut.«
    Ich wollte aufstehen; sie ließen mich nicht.
    Drei Rettungshelfer kauerten über der blonden Frau. Anscheinend drückten sie Kompressen auf die Wunde in ihrem Bauch. Ich hörte jemanden etwas von einer Tracheotomie sagen. Dann etwas von peripherem Puls.
    Lassen wir’s gut sein? Ich glaube schon. Sie ist tot.
    Jetzt wandten sie sich mir zu. Ich kam auf die Beine. Das Blut der Frau klebte auf meiner Haut, trocknete bereits in der warmen Luft. Ich merkte, wie ich schwankte, und sah überall Bewegung. Die Wohnblocks, die den Platz umgaben, hatten lange Balkone, die sich über die ganze Fassade erstreckten. Vor ein paar Minuten waren sie verwaist gewesen. Jetzt waren sie voller Menschen. Ich zog meinen Dienstausweis aus der Gesäßtasche meiner Jeans und hielt ihn dem am nächsten stehenden Polizisten hin.
    » DC Lacey Flint«, sagte ich.
    Er las den Ausweis und sah mir in die Augen, suchte nach Bestätigung. »Hab mir doch gedacht, dass Sie mir bekannt vorkommen. Sie arbeiten in der Wache in Southwark, nicht wahr?«
    Ich nickte.
    » CID – Kriminalpolizei«, sagte er zu den Rettungshelfern, die ihre Aufmerksamkeit mir zugewandt hatten, nachdem ihnen klar geworden war, dass sie nichts mehr für die blonde Frau tun konnten. Einer von ihnen kam auf mich zu. Ich trat zurück.
    »Fassen Sie mich lieber nicht an«, sagte ich. »Ich bin nicht verletzt.« Ich blickte an meinen blutverschmierten Kleidern hinunter, fühlte, wie Dutzende von Augen mich anstarrten. »Ich bin Beweismaterial.«
    Es wurde mir nicht gestattet, mich still und leise in die Anonymität des nächsten Polizeireviers davonzustehlen. DC Stenning, der Detective, der als Erster am Tatort eingetroffen war, hatte einen Anruf vom zuständigen Detective Inspector bekommen. Sein Boss war bereits unterwegs und wollte, dass ich mich nicht von der Stelle rührte.
    Pete Stenning war in Southwark einer meiner Kollegen gewesen, bevor er zur Abteilung für Schwerverbrechen – zum Major Investigation Team oder MIT – des Bezirks gegangen war, die vom Revier in Lewisham aus operierte. Er war nicht viel älter als ich, vielleicht so um die dreißig, und einer jener Glückspilze, die bei fast allen beliebt sind. Männer mochten ihn, weil er hart arbeitete, aber nicht so hart, dass andere sich bedroht fühlten. Stenning stand auf bodenständige Arbeitersportarten wie Fußball, konnte sich aber auch in einem Gespräch über Golf oder Cricket behaupten. Er redete nicht übermäßig viel, doch alles, was er sagte, war vernünftig. Frauen mochten ihn, weil er groß und schlank war und lockiges dunkles Haar und stets ein freches Grinsen im Gesicht hatte.
    Er nickte mir zu, war jedoch zu sehr damit beschäftigt, die Schaulustigen zurückzuhalten, um herüberzukommen. Inzwischen waren um den Leichnam der blonden Frau herum Sichtschutzwände aufgestellt worden. Da ihnen der erregendste Anblick verwehrt war, glotzten alle stattdessen mich an. Die Neuigkeit hatte sich herumgesprochen. Die Leute hatten per SMS ihre Freunde benachrichtigt, die eilends anrückten, um bei dem Spaß dabei zu sein. Ich saß hinten im Streifenwagen, mied aufdringliche Blicke und versuchte, meinen Job zu machen.
    Die ersten sechzig Minuten nach einem schweren Verbrechen sind die wichtigsten, wenn die Beweise frisch sind und die Spur des Täters noch warm ist. Es gibt strikte Vorschriften, an die wir uns halten müssen. Ich arbeitete nicht beim Morddezernat; zu meinem Berufsalltag gehörte es, die Besitzer von Diebesgut ausfindig zu machen. Das war sehr viel weniger aufregend, doch mir war klar, dass ich mir so viel wie möglich merken musste. Ich registrierte normalerweise jedes klitzekleine Detail, etwas, wofür ich nicht immer dankbar war, wenn ich unweigerlich die langweiligen Jobs bekam. Jetzt jedoch sollte ich froh darüber sein.
    »Ich hab Ihnen einen Tee geholt, Schätzchen.« Der Constable, der sich zu meinem Aufpasser ernannt hatte, war wieder da. »Trinken Sie den lieber schnell«, riet er mir. »Der DI ist da.«
    Ich folgte seinem Blick und sah, dass ein silberner Mercedes unweit von meinem Wagen gehalten hatte. Zwei Personen stiegen aus. Der Mann war hochgewachsen, und selbst
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