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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete
Autoren: Sharon Bolton
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wir durch die vergitterte Hintertür des Polizeireviers von Lewisham, und meine Ankunft wurde offiziell zu Protokoll genommen. Ich arbeitete seit vier Jahren bei der Londoner Polizei, doch ich hatte das Gefühl, dass ich sie gleich aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen bekommen würde.
    Einige Zeit später starrte ich auf schmutzige cremeweiße Wände und graue Fußbodenfliesen. Meine linke Schulter tat weh, weil ich vorhin draufgefallen war, und ich merkte, dass Kopfschmerzen drohten. Im Laufe der letzten Stunde hatte man mich gebeten, mich vollständig auszuziehen, bevor ich von einem Polizeiarzt untersucht worden war. Nach einer Dusche war ich abermals untersucht und auch fotografiert worden. Meine Fingernägel waren geschnitten, eine Speichelprobe genommen und mein Haar gründlich und schmerzhaft durchgekämmt worden. Dann hatte man mir einen orangeroten Overall ausgehändigt, wie ihn normalerweise Untersuchungshäftlinge bekamen.
    Ich hatte an diesem Abend nichts gegessen, und ob es nun am niedrigen Blutzucker lag, am Schock oder einfach nur an dem kalten Zimmer, es fiel mir schwer, mit dem Zittern aufzuhören. Immer wieder sah ich blassblaue Augen vor mir, die mich anstarrten.
    Ich hätte sie retten können. Wäre ich nicht in meiner eigenen kleinen Welt gewesen, würden wir jetzt vielleicht nicht gerade eine Mordermittlung in die Wege leiten. Und alle wussten das. Das würde mein Erbe sein, solange ich im Polizeidienst war. Die Kollegin, die zugelassen hatte, dass eine Frau direkt vor ihrer Nase erstochen wurde.
    Die Tür ging auf, und DI Joesbury kam herein. In dem kleinen Raum wirkte er größer als vorhin auf der Straße oder sogar in DI Tullochs Wagen. DC Gayle Mizon, die Beamtin, die dem Polizeiarzt bei den Untersuchungen assistiert hatte, war bei ihm. Die beiden hatten draußen auf dem Flur gelacht, und er lächelte noch immer, als er ihr die Tür aufhielt. Er hatte ein tolles Lächeln. Dann wandte er sich mir zu, und das Lächeln verblasste.
    »Langweilen Sie sich noch immer?«, fragte ich, bevor ich mich beherrschen konnte.
    Genauso gut hätte ich auch nichts sagen können. Er zeigte keinerlei Reaktion.
    Mizon war eine attraktive Blondine, ungefähr dreiunddreißig oder vierunddreißig. Sie hatte mir einen Kaffee mitgebracht. Ich legte die Hand um den Becher, um sie zu wärmen, wagte es jedoch nicht, ihn hochzuheben. Dafür zitterte ich zu sehr. Joesbury fuhr fort, mich zu betrachten; mein Haar, noch nass von der Dusche, mein Gesicht, rosig und trocken, weil es nicht eingecremt worden war, und meine Untersuchungshäftlingskluft. Beeindruckt sah er nicht aus.
    »Okay«, meinte er. »Dann nehmen wir mal Ihre Aussage auf.«
    Als er zum Ende kam, hatte ich kaum noch genug Kraft, um aufrecht auf meinem Stuhl zu sitzen. Hätte ich DI Joesburys Befragungstechnik taktvoll beschreiben wollen, so hätte ich gesagt, er sei gründlich. Hätte Ehrlichkeit auf der Tagesordnung gestanden, so hätte ich ihn als sadistisches Arschloch bezeichnet.
    Bevor sie anfingen, erklärten sie, dass Gayle Mizon die Befragung durchführen würde, Joesbury sei nur in beratender Funktion dabei. Sie hatten mir sogar Gelegenheit gegeben zu verlangen, dass er das Zimmer verließ. Ich hatte die Achseln gezuckt und irgendetwas gemurmelt von wegen, das sei schon in Ordnung. Ein Riesenfehler, denn sobald es losging, übernahm er das Ruder.
    Was darauf folgte, kam mir nicht vor wie irgendeine Zeugenaussage, bei der ich jemals beteiligt gewesen war. Es war mehr so, als sollte Anklage gegen mich erhoben werden. Er ließ mich jedes einzelne Detail mehrmals schildern, bis sogar Mizon aussah, als fühle sie sich unwohl. Und er kam immer wieder auf denselben Punkt zurück. Wie war es möglich, dass ich überhaupt nichts gesehen hatte? Wie konnte es sein, dass ich den Überfall nicht mitbekommen hatte, wo ich doch so nah am Geschehen war? Jeden Augenblick erwartete ich, dass er behaupten würde, die blonde Frau könnte noch am Leben sein, wenn ich keinen Mist gebaut hätte.
    Endlich machte er Schluss und schaltete das Aufnahmegerät aus. Die Uhr an der Wand zeigte nach elf.
    »Möchten Sie, dass wir irgendjemanden anrufen?«, erkundigte sich Mizon, während Joesbury die Disk aus dem Aufnahmegerät nahm und sie beschriftete.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ist bei Ihnen jemand da, wenn Sie nach Hause kommen?«, fragte sie. »Mitbewohnerin? Freund? Sie haben einen ziemlich heftigen Schock, wahrscheinlich sollten Sie nicht allein sein.«
    »Ich
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