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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin
Autoren: Tracy Chevalier
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Horizont
    Es gab kein Zurück. Als Honor Bright ihrer Familie aus heiterem Himmel verkündete, dass sie ihre Schwester Grace nach Amerika begleiten werde, als sie ihre Habseligkeiten ordnete, nur das Nötigste behielt und alle Quilts weggab, als sie sich von Onkeln und Tanten verabschiedete, Vettern, Basen, Nichten und Neffen ein letztes Mal küsste, als sie in der Kutsche aus Bridport hinausfuhr und in Bristol Arm in Arm mit Grace über die Gangway schritt, hatte sie stets den einen Gedanken im Hinterkopf: Ich kann jederzeit zurück. Doch die unausgesprochenen Worte waren bereits von der Ahnung erfüllt gewesen, dass sich ihr Leben unwiederbringlich ändern würde, sobald ihre Füße nicht mehr auf englischem Boden standen.
    Ich kann jederzeit zurück. Immerhin hatte der Satz Honors Vorbereitungen in den Wochen vor der Abreise den Stachel des Endgültigen genommen wie die heimlich hinzugefügte Prise Zucker einer Soße die Schärfe. Als sie ihrer Freundin Biddy den gerade fertiggestellten Quilt überreichte, war Honor deshalb ganz ruhig geblieben und hatte nicht wie Biddy in Tränen ausbrechen müssen. Ihr jüngstes Werk war ein Patchwork, ein achtzackiger »Stern von Bethlehem« aus braunen, gelben und cremefarbenen Rauten. Die Oberseite hatte Honor im Harfenmuster gequiltet und den Rand mit der Federbordüre, für die sie berühmt war. Die Gemeinde hatte ihr jedoch zum Abschied einen Signaturquilt geschenkt, in dem jeder Block von ei ner anderen Freundin oder Verwandten angefertigt und signiert worden war, und zwei Quilts passten nicht in Honors Reisetruhe. Der Signaturquilt hatte zwar nicht die Qualität ihrer eigenen Arbeiten, aber sie musste natürlich ihn mitnehmen. »Bei dir ist er in guten Händen, außerdem wird er dich an mich erinnern«, beharrte Honor, als ihr die schluchzende Freundin den »Stern von Bethlehem« zurückgeben wollte. »Ich werde in Ohio noch viele Quilts nähen.«
    Wenn Honor an die Zukunft dachte, übersprang sie am liebsten die vor ihr liegende Reise und konzentrierte sich ganz auf deren Ziel, das Holzhaus, das ihr zukünftiger Schwager in seinen Briefen aus Ohio beschrieben hatte. »Es ist ein stabiles Haus, wenn es auch nicht aus Stein gebaut ist wie die Häuser, die du gewohnt bist«, hatte Adam Cox an Grace geschrieben. »Hier bei uns sind fast alle Häuser aus Holz. Nur wenn eine Familie sich endgültig niederlässt und nicht mehr damit rechnet, noch einmal umzuziehen, baut sie sich ein Haus aus Backstein.
    Unser Haus liegt am Ende der Hauptstraße am Rand der Stadt«, hatte er weiter ausgeführt. »Faithwell ist zwar noch klein, es besteht derzeit aus fünfzehn Freundesfamilien, doch mit Gottes Gnade wird es wachsen. Der Laden meines Bruders befindet sich in Oberlin, einer drei Meilen entfernten größeren Stadt. Sobald Faithwell groß genug für einen Tuchladen ist, wollen mein Bruder und ich mit dem Geschäft umziehen. Bei uns nennt man die Tuchläden übrigens Kurzwarengeschäfte. In Amerika wirst du noch viele neue Worte lernen.«
    Honor konnte sich nicht vorstellen, in einem Haus aus Holz zu leben. Holz war ein Material, das leicht Feuer fing, sich dauernd verzog und knarzte und stöhnte, außerdem hatte es nicht die Beständigkeit von Ziegel oder Stein. Doch die Aussicht, in einem instabilen Holzhaus zu wohnen, war nicht Honors größte Sorge. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu der bevorstehenden Reise auf der Adventurer , dem Schiff, das sie über den Atlantik bringen sollte. Schiffe waren Honor vertraut, schließlich lebte sie in einer Hafenstadt und hatte ihren Vater schon öfter begleitet, wenn eine Ladung Hanf gelöscht wurde. Einmal war sie sogar mit an Bord gegangen und hatte den Matrosen dabei zugesehen, wie sie die Segel bargen, Leinen aufschossen und die Decks scheuerten. Mitgesegelt war sie auf einem großen Schiff jedoch noch nie. Als sie zehn war, hatte ihr Vater die Familie einmal zu einem Ausflug ins nahegelegene Eype eingeladen, wo Honor, Grace und die Brüder in einem Ruderboot aufs Meer hinausgefahren waren. Grace hatte es wunderbar gefunden. Laut kreischend und lachend gab sie vor, jeden Moment ins Wasser zu fallen, als die Brüder sich in die Ruder legten, doch Honor hatte sich panisch an den Bootswänden festgeklammert. Das Schaukeln des Boots machte ihr Angst, außerdem hasste sie das ungewohnte und
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