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Dunkelerde: Gesamtausgabe

Dunkelerde: Gesamtausgabe

Titel: Dunkelerde: Gesamtausgabe
Autoren: Alfred Bekker
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hoffnungsfroh und dachte dabei: Lieber Gott, mach, dass sie es gestern wirklich persönlich war und dass es sich nicht nur um eine beschissene Illusion des Buches handelte. Vielleicht bin ich einfach nur verrückt geworden und bilde mir Dinge ein, die gar nicht sein können? Sogar das mit Vater, dass er kurz bei uns war - und was er dabei gesagt hat...? Später war keine Rede mehr davon gewesen. Wir haben alle so getan, als sei nichts geschehen. Auch nachdem Jule wieder gegangen war...
    Jule sagte: „Ich - ich kann mich nicht erinnern. Aber irgendwann habe ich auf die Uhr geschaut. Stunden waren vergangen. Ich hatte gerade wieder versucht, dich zu erreichen.” Sie strich sich  mit einer fahrigen Bewegung über die Stirn. „Verflixt und zugenäht, ich kam heim und griff nach dem Telefon, um dich anzurufen. Auf deinem Handy. Dann dachte ich daran, persönlich bei dir aufzukreuzen. Anschließend griff ich wieder nach dem Telefon, um dich anzurufen. Ich habe dich nicht erreicht und schaute auf die Uhr. Eigentlich konnten nur Augenblicke vergangen sein, aber es waren Stunden.” Sie sah ihn an. In ihren Augen war deutlich Verzweiflung zu lesen. „Werde ich verrückt oder was?”
    „Wenn, dann müssten wir schon beide verrückt geworden sein”, schränkte Pet ein.
    „Vor Liebe oder was?”, fragte Kralle, der gerade vorbei kam.
    „Kriegt man denn von dem niemals seine Ruhe?”, seufzte Jule.
    Noch einer, der beleidigt war an diesem Morgen. Kralle zog ohne einen weiteren Kommentar wieder ab.
    „Du bist tatsächlich gekommen. Das Buch. Du erinnerst dich? Mein Vater...”
    „Mist!” Sie schüttelte heftig den Kopf. „Ja, da war was. Aber wieso habe ich es danach... einfach vergessen? Alles war weg, wirklich alles. Und jetzt...”
    „...kommt es wieder zurück?”, ergänzte Pet, verstärkt hoffnungsfroh.
    „Warst du danach noch mal auf dem Speicher - ohne mich?”, zischelte sie.
    „Nein, war ich nicht, ehrlich!”
    „Du lügst mich nicht an?”
    „Warum sollte ich denn?”
    „Was verheimlichst du mir, sprich!”
    „Nichts!”
    „Das ist jetzt eine verdammte Lüge! Du hast das Vorlesen abgebrochen, weil da was ist, was du mir nicht sagen willst.” Sie stach anklagend mit dem Zeigefinger in seine Richtung.
    „Ja!”, gab er nach kurzem Zögern zu. „Aber das hat einen gewichtigen Grund, glaube mir.”
    „Welchen?”
    „Ich kann ihn dir nicht sagen - nicht hier und nicht jetzt.”
    „Wann und wo denn sonst?”
    „Nach der Schule? Kommst du wieder zu mir?”
    „Ja!”, sagte sie nun ihrerseits. Sie hob ihre Rechte und trat einen Schritt näher. „Ich weiß nicht, warum ich das alles vergessen habe. Vielleicht deshalb, weil sich mein Unterbewusstsein dagegen wehrt?”
    „Möglich!”, meinte Pet.
     
    *
     
    Pet saß ihm Wohnzimmer und wartete, bis Jule kam. Er wollte nicht vorher schon auf den Speicher gehen, obwohl es ihn sehr viel Kraft kostete, erst auf Jule zu warten. Andererseits redete er sich selber erfolgreich ein, dass es ungeheuer wichtig war, dass sie ab sofort wirklich alles gemeinsam taten. Die Zeichen dafür waren deutlich - überdeutlich, wie er meinte.
    Und dann kam Jule. Sie hatte zuerst nach Hause gehen müssen, ohne es zu begründen. Jetzt sah Pet es selber: Sie brachte ihre Eltern mit.
    Die beiden machten einen sehr ernsten Eindruck. Sie begrüßten die Eltern von Pet ohne ein einziges Wort, völlig stumm. Aber auch, als würden sie sich schon seit vielen Jahren sehr genau kennen und wüssten alles voneinander - auch um die Bedeutung des heutigen Tages?
    Welche Bedeutung hat er denn überhaupt?, fragte sich Pet unwillkürlich.
    Jule und er begrüßten sich genauso stumm, nämlich mit einem eher flüchtigen Kuss auf den Mund. Hand in Hand gingen sie zur Treppenleiter, die hinauf auf den Speicher führte. Dort verhielten sie für einen Augenblick, um zu lauschen. Aus dem Wohnzimmer drang kein Laut zu ihnen hin. Anscheinend saßen sich ihre Eltern immer noch genauso schweigend gegenüber, wie sie sich begrüßt hatten.
    Pet ließ seiner Freundin den Vortritt. Sie stieg vor ihm hinauf auf den Speicher.
    „Und jetzt kannst du mir endlich sagen, warum du gestern so plötzlich abgebrochen hast?”, begrüßte sie ihn oben.
    Er lächelte ein wenig verkrampft - und dann stieß er eine Lautfolge aus, die nicht so klang, als würde sie einer menschlichen Kehle entsteigen. Es hörte sich an wie das Lautgewirr aus einem Dschungel, wobei das gefährliche Zischen von Schlangen überwog. Es
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