Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod
Autoren: P.B. RYAN
Vom Netzwerk:
Nell sich sicher – ihre Dienstherrin es gewiss gesagt hatte.
    â€žIch komme gleich nach unten.“
    â€žSofort, wenn ich bitten darf.“
    Die Worte ärgerten Nell, da Mrs. Mott damit den Eindruck erweckte, sie hätte das Recht, Nell Befehle zu erteilen. Als Gracies Gouvernante – und eigentlich auch Violas Gesellschafterin – war Nell weder Dienerin noch Dame von Stand, sondern eine jener wenigen Frauen, die mit respektabler Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienten. Sie unterstand nicht Mrs. Mott, wie die Hausbediensteten, sondern Viola Hewitt, die ihr bei der Ausübung ihrer Pflichten erfreulich viele Freiheiten ließ.
    Mrs. Mott ließ ihren Blick durch das Kinderzimmer schweifen, wie sie es immer zu tun pflegte, wenn sie einen Raum betrat – wie ein Habicht, der nach etwas ausspähte, worauf er sich stürzen konnte. Es war ein geräumiges Zimmer, von Gracies großzügiger Nana so eingerichtet, dass es einem Salon in Versailles ähnelte, mit einer reich mit Stuck verzierten und mit pausbackigen Engeln geschmückten Decke, gravierten goldgerahmten Spiegeln und Unmengen geblümten Damaststoffes in schimmerndem Elfenbein, Muschelrosa und Meergrün. Nell konnte sich schon denken, was die grimmige alte Haushälterin sich dachte: All diese Pracht für das uneheliche Balg eines Zimmermädchens!
    Als Viola Hewitt sich nach Gracies Geburt entschieden hatte, das Kind als ihr eigenes aufzuziehen, schlug ihr von allen Seiten Ablehnung entgegen. Niemand hatte diese Entscheidung jedoch so sehr missbilligt wie Evelyn Mott. Seit drei Generationen stand ihre Familie nun schon den Hewitts zu Diensten, und sie selbst kniete gläubig nieder vor dem Altar guter Erziehung – und der damit einhergehenden Tugend tadellosen Betragens. Bei den Bediensteten duldete sie keinerlei Verfehlungen, und schier hätte sie der Schlag getroffen, als sich herausstellte, dass Annie McIntyre ein Kind erwartete, denn besagtes Zimmermädchen war zwar verheiratet, doch ihr Gatte befand sich zum Zeitpunkt von Gracies Empfängnis im Krieg. Sehr zum Verdruss von Mrs. Mott hatte Violas beherztes Eingreifen jedoch sowohl Annies Ruf als auch ihre Stellung zu retten vermocht – gemeinsam mit ihrem Mann arbeitete sie jetzt gar für die Astors in New York. Und Gracie hatte es davor bewahrt, im Armenhaus zu enden, wo sie – wie Nell leider nur allzu gut wusste – von Glück hätte sagen können, ihren ersten Geburtstag zu erleben.
    Durch ihre winzige Brille musterte Mrs. Mott das Mädchen, dessen Existenz ihrem straff und sorgsam geführten Haushalt Schande bereitete. Ob sie wusste, wer Gracies Vater war? Das Kind sah Will mit jedem Tag ähnlicher, zumal es nun auch anfing, in die Höhe zu schießen – schon jetzt war es so groß, wie manche der Sechs- und Siebenjährigen, mit denen es jeden Nachmittag auf dem Common und im Public Garden spielte. Gewiss ahnte Mrs. Mott, dass Viola das Kind auch deshalb adoptiert hatte, weil ihr ältester Sohn der Vater war. Ein Umstand, der die Abneigung der Haushälterin gegen den kleinen Eindringling keineswegs minderte – eher im Gegenteil.
    â€žSie sollten dem Kind beibringen, Erwachsene nicht so anzustarren“, bemerkte Mrs. Mott. Bevor Nell sie unklugerweise daran erinnern konnte, dass Gracie sie nur deshalb anstarrte, weil sie von ihr angestarrt wurde, fuhr die Haushälterin auch schon fort: „Und Sie könnten ihr auch etwas Vorzeigbares anziehen, bevor Sie mit ihr runterkommen. Mrs. Hewitt hat Besuch.“
    Gracie runzelte verwirrt die Stirn und betrachtete verwundert ihre liebevoll genähte Schürze. Nell hoffte, dass sie die Bemerkung nicht verstanden hatte – und auch nicht um eine Erklärung bitten würde.
    â€žWer sind die Besucher?“, fragte Nell rasch.
    â€žEin Mann und eine Frau, ziemlich gewöhnliche Leute, klingen wie Iren. Ich habe mich schon gefragt, ob es wohl Verwandte von Ihnen sind – Ihre Eltern vielleicht?“
    â€žMeine Eltern leben nicht mehr.“ Ihre Mutter zumindest, und vielleicht ja auch ihr Vater, wer wusste das schon. „Und sonst habe ich niemanden.“
    â€žAch nein?“, erwiderte Mrs. Mott vielsagend.
    Damit hatte Nell nicht gerechnet. Verzweifelt suchte sie nach einer Antwort. Bitte lass sie nicht von Duncan erfahren haben! Alles, nur das nicht.
    Die Haushälterin ließ ein paar Sekunden verstreichen, als hoffe sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher