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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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leises Summen erklang. Jan starrte den Apparat noch eine weitere Sekunde lang an, dann steckte er ihn mit einem Achselzucken wieder ein und wandte sich direkt an Vera. »Wahrscheinlich hast du recht.«
    »Ich habe immer recht«, antwortete Vera. Sie machte eine entsprechende Geste. »Also – worauf warten wir?«
     
    Sie hatte recht gehabt: Er brauchte keine technischen Hilfsmittel mehr, um Vlads Spur aufzunehmen. Der Vampir hatte eine breite, unregelmäßige Spur aus Blutstropfen und -flecken hinterlassen, und viel deutlicher noch als diese sichtbare Fährte war das, was Jan witterte . Jan fiel kein besseres Wort dafür ein. Vera hatte behauptet, daß der Teil der Vampirlegenden, in dem es um menschliches Blut ging, pure Phantasie wäre, aber so ganz konnte das nicht stimmen. Er konnte die Blutspur, die der Vampir hinterlassen hatte, ganz deutlich riechen . Und es war sogar noch schlimmer: Er hatte nicht nur Witterung aufgenommen wie ein Bluthund, der Geruch machte ihn auch fast wahnsinnig vor Gier. Noch vor wenigen Minuten hatte er geglaubt, daß es keinen stärkeren Drang für ihn geben konnte als sein Verlangen nach Veras Körper, aber die Blutrünstigkeit, die er nun spürte, war mindestens ebenso stark, wenn nicht stärker. Er mußte Vlad finden. Ihn töten. Seine Krallen in das Fleisch des Vampirs graben und ihn in Stücke reißen. Töten. Töten.
    War das die Zukunft, die Vera ihm zugedacht hatte? Sex und Gewalt und wieder Sex und noch mehr Gewalt und Tod?
    Er verscheuchte den Gedanken. Er war irrelevant. Wenn er Vlad nicht fand, bevor er sich von der Verletzung erholt hatte, dann hatte er überhaupt keine Zukunft mehr.
    Sie hatten die Sippe und die unterirdische Höhle, in der sie lebte, längst hinter sich gelassen, und Jan fand sich wieder in einem schier endlosen Labyrinth aus Gängen, Treppenschächten und Tunnels, das wirklich gigantische Ausmaße zu haben schien. Es hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem Kanalisationssystem, durch das er in diese unterirdische Welt eingedrungen war; aber auch mit nichts anderem, was er jemals gesehenhatte. Es war einfach ein verwirrendes Gebilde aus unterschiedlichsten Baustilen, einer bizarren, durch und durch fremdartigen Architektur. Als hätte jemand verschiedene Ebenen der Zeit und der Wirklichkeit genommen und so lange ineinander verschachtelt und zusammengepreßt, bis ein sinnverwirrendes Escher-Universum dabei herausgekommen war. Mehrmals war er auf Spuren von Menschen gestoßen: aufgegebene Lagerplätze, erloschene Feuer, achtlos liegengelassene Kleider oder Gegenstände des täglichen Bedarfs. Manchmal spürte er auch einfach nur, daß er an einem Ort war, an dem sich vor kurzem noch Menschen aufgehalten hatten. Vera blieb die ganze Zeit über unsichtbar, aber er spürte ihre Nähe. Zumindest jetzt hielt sie Wort.
    All diese Gedanken beanspruchten jedoch nur einen winzigen Teil seiner Aufmerksamkeit. Fast sein gesamtes Denken war auf Vlad konzentriert, die warme Spur, die er hinterlassen hatte, und das rote Versprechen, das an ihrem Ende wartete. Er war dem Vampir jetzt nahe. Und er konnte spüren, daß Vlad sich immer schneller erholte. Er hatte nicht mehr viel Zeit.
    Plötzlich brach die Spur ab. Vor ihm lag jetzt nur noch ein leerer Gang, der nach Alter, Verfall und Fäulnis roch. Kein Blut mehr.
    Jan blieb stehen, drehte sich um und sog die Luft durch die Nase ein. Hätte er sich in diesem Moment selbst gesehen, wäre er erschrocken, denn sein Anblick glich jetzt mehr dem eines Raubtiers als einem Menschen: Er stand weit nach vorne gebeugt da, schnüffelnd, mit halb geschlossenen Augen und Händen, die zu Klauen verkrümmt waren.
    Der Blutgeruch war hier noch intensiver, und er kam direkt aus dem Boden.
    Jan ließ sich auf die Knie sinken, fuhr mit der Hand über den Boden und verzog abfällig den Mund, als quasi aus dem Nichts ein rostiger Kanaldeckel vor ihm auftauchte. Vladwurde nachlässig, oder seine Kraft reichte einfach nicht mehr, um eine gute Tarnung aufrechtzuerhalten. Jan packte den zentnerschweren Kanaldeckel mit der linken Hand, schleuderte ihn achtlos davon und beugte sich über die Öffnung, die darunter zum Vorschein kam.
    Wie der Deckel selbst sah auch der Schacht aus wie der Einstieg zu einem ganz normalen Kanal, nur daß er zehn oder möglicherweise auch hundert Meter unter der nächsterreichbaren Straße lag. Er war vielleicht acht oder zehn Meter tief, und in die Wände waren rostige Trittstufen eingelassen. Jan konnte nicht genau
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