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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Füße zu treten. Er hatte ein paar Probleme mit dem Gleichgewichtssinn; mehr, als er hätte haben dürfen, nach nur einem Bier. Jan war alles andere als trinkfest, aber normalerweise vertrug er doch deutlich mehr als ein einziges, jämmerliches Kölsch.
    Heute offenbar nicht. Als er ungeschickt, wie gegen einen imaginären Sturmwind ankämpfend, das Ende der Reihe erreichte,wurde ihm für einen Moment schwindelig; er taumelte, machte einen hastigen Schritt, um sein Wanken zu kaschieren, und hoffte, daß die Dunkelheit seine Ungeschicklichkeit hinlänglich genug verborgen hatte.
    Sie hatte nicht. Als er sich endlich wieder weit genug in der Gewalt hatte, um sich aufzurichten und herumzudrehen, begegnete er dem Blick einer jungen Frau, die ganz am Rand saß. Etwas jünger als er, hübsch, soweit er das bei dem schlechten Licht beurteilen konnte. Sie sah direkt zu ihm hoch und hatte die Stirn in vielsagende Falten gelegt. Sie sah nicht besorgt aus, sondern eher mißbilligend. Wahrscheinlich roch sie seine Bierfahne und dachte sich den entsprechenden Rest dazu. Das war das Problem mit Bier, dachte er. Ob man nun ein Glas trank oder zwölf – man stank sofort wie ein Trinker.
    Jedenfalls behauptete Katrin das.
    Jan senkte hastig den Blick, führte seine begonnene Drehung zu Ende und ging mit unsicheren Schritten die Stufen hinauf, welche er trotz der winzigen Lämpchen, die darin eingelassen waren, nur mit Mühe erkannte. Ein ganz leises, aber unangenehmes Schwindelgefühl machte sich hinter seiner Stirn bemerkbar. Er schloß die Augen, machte zwei Schritte in vollkommener Dunkelheit und wäre um ein Haar gestürzt, weil da, wo er eine weitere Stufe erwartete, keine mehr war; ein Gefühl, das nicht weniger unangenehm war als das, eine Stufe zu übersehen.
    Als er den Kinosaal verließ und in das grell erleuchtete Foyer hinaustrat, wurde das Schwindelgefühl so stark, daß er sich an der Türklinke festhalten mußte und zwei oder drei Sekunden brauchte, um überhaupt weitergehen zu können. Was war nur mit ihm los? Jan war sich mittlerweile nicht mehr sicher, daß es an diesem einen Bier lag; auch wenn er seit gestern nachmittag nichts mehr gegessen hatte. Vermutlich saß ihm irgend etwas in den Knochen, eine Grippe oder einfach eine Erkältung,die auf diese Weise bei ihm anklopfte, ehe sie sich morgen oder spätestens übermorgen mit Fieber, Husten und Schüttelfrost bei ihm meldete. Eine höchst simple Erklärung. Eine realistische Erklärung. Er war zweiunddreißig und damit noch Lichtjahre davon entfernt, alt zu sein. Aber er war schon nicht mehr jung genug, seinem Körper alles zuzumuten und danach erwarten zu können, ungestraft davonzukommen. Er hatte in den vergangenen vier Wochen zu viel gearbeitet, zu wenig geschlafen und dieses Ungleichgewicht, so gut es ging, mit einem Übermaß an Zigaretten und Adrenalin kompensiert. Er wäre ja auch niemals auf die Idee gekommen, seinen Wagen fünfhundert Kilometer weit im roten Drehzahlbereich über die Autobahn zu jagen – was also brachte ihn dazu, dasselbe ungestraft mit seinem Körper tun zu wollen?
    Trotz dieser Übelkeit empfand Jan für einen Moment Zorn auf die Unzulänglichkeit seines eigenen Körpers, der ihn auf diese Weise im Stich ließ.
    Er atmete tief ein, verfolgte ganz bewußt das Heben und Senken seiner Brust. Der Sauerstoff, der seine Lungen füllte, vertrieb die Übelkeit wenigstens zum Teil. (Vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich hatte er nur den Eindruck, weil er erwartete , es zu spüren, aber welche Rolle spielte das schon? Das Ergebnis zählte.)
    Endlich ließ er den Türgriff los; als er den ersten Schritt machte, schwankte er nicht mehr. Er ging unsicher, torkelte aber wenigstens nicht mehr wie ein besoffener Penner, und irgendwie gelang es ihm sogar, einen großen Schritt über die rote Samtkordel zu machen, die den Eingangsbereich des Kinos absperrte.
    Die frische Luft half wirklich. Während er – nicht ganz gerade, aber aufrecht genug, um nicht aufzufallen – die Metalltreppe zu den Toiletten ansteuerte, legte sich das Schwindelgefühl ein wenig. Jedenfalls soweit, um nur noch lästig zu sein,nicht mehr quälend. Er erreichte die Treppe, griff nach dem verchromten Geländer und schwang sich mit einer etwas übertriebenen Bewegung herum (wobei er insgeheim betete, nicht das Gleichgewicht zu verlieren und auf der Nase zu landen). Sein Blick schweifte über die große, jetzt sonderbar leer wirkende Halle. In dem tiefer liegenden Bereich vor
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