Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Punkt komisch.
    Er wurde in den zweiten Rettungswagen gebracht. Mertens und einer der Sanitäter blieben bei ihm, während der zweite die Türen schloß und dann nach vorne eilte, um im Führerhaus Platz zu nehmen. Jan konnte undeutlich Katrins Stimme hören, die selbst durch die geschlossenen Türen hindurch lautund verärgert klang. Offensichtlich verlangte sie, mit ihm im Krankenwagen mitfahren zu dürfen, was ihr aber natürlich nicht gestattet wurde. Jans Meinung nach war es sowieso schon viel zu eng hier drinnen. Der Krankenwagen war zwar an sich recht geräumig, aber mit vielen medizinischen Geräten vollgestopft, die für Jans Verständnis ebensogut aus den Lagerräumen der »Enterprise« stammen konnten. Außerdem waren sie schon zu viert hier drin: Er selbst, der Sanitäter, Mertens und der Schatten, der hoch aufgerichtet am Fußende der Trage stand und aus unsichtbaren Augen auf ihn herabsah.
    Jan blinzelte.
    Der Schatten blieb.
    Jan schloß die Augen, preßte die Lider einige Sekunden lang so fest zusammen, daß bunte Lichtblitze über seine Netzhäute schossen und hob sie dann wieder.
    Der körperlose Umriß stand noch dicht am Fußende der schmalen Liege und starrte ihn an. Er war nicht massiv, so daß Jan durch ihn hindurchsehen konnte, als hätte jemand ein Stück schwarzer Gaze genommen und einen menschlichen Umriß daraus geschnitten, ein Gesicht konnte er aber nicht erkennen.
    Trotzdem spürte er den Blick des Dunklen wie die Berührung einer eisigen Hand. Er war kalt. Interessiert, aber kalt. Gnadenlos. Die Art von Blick, mit der ein Wissenschaftler vielleicht ein zwar interessantes, möglicherweise aber auch gefährliches Insekt begutachten mochte, ein Insekt, das er aufgrund seiner Seltenheit zwar mit großer Sorgfalt behandeln mußte, aber auch, ohne zu zögern, zertreten würde, sollte es sich tatsächlich als gefährlich erweisen.
    »Das Schlimmste haben Sie hinter sich.« Mertens hängte den Infusionsbeutel an einen verchromten Haken einen halben Meter über Jans Kopf, überzeugte sich routiniert vom korrekten Sitz aller Anschlüsse und Verbindungen und gab demSanitäter einen Wink. Der Mann setzte sich auf einen schmalen, an der Wand verschraubten Stuhl und klopfte mit den Knöcheln gegen die Milchglasscheibe zum Führerhaus. Der Wagen setzte sich in Bewegung, sehr langsam zwar, aber mit mißtönend jaulender Sirene und zuckendem Blaulicht. Ein äußerst beruhigendes Gefühl, dachte Jan. Noch vor einer Stunde hätte er jeden für verrückt erklärt, der ihm gesagt hätte, daß er irgendwann einmal froh sein würde, in einem Krankenwagen mit Blaulicht und Sirene abtransportiert zu werden. Aber immerhin bewies es, daß er noch lebte.
    Mertens hielt sich mit der linken Hand irgendwo fest und stand mit gespreizten Beinen, auf eine Art, die langjährige Notarzterfahrung verriet, in der Kabine. Er wandte sich zu Jan und wollte offensichtlich etwas sagen, runzelte aber dann statt dessen die Stirn, sah ihn einen Moment lang verwirrt und mit deutlich neu aufkeimender Sorge an und folgte schließlich seinem Blick.
    Er sagte kein Wort. Aber die Geschichte, die sein Gesicht erzählte, war interessant genug.
    Im ersten Moment wirkte er einfach nur verwirrt, allenfalls auf unangenehme Weise überrascht, dann ~ erschrocken? Jan konnte regelrecht sehen, wie es hinter der Stirn des Arztes arbeitete, als ob er sich eine bestimmte Frage stellte, um sie dann selbst mit einem angedeuteten Kopfschütteln zu beantworten. Er wandte sich wieder ganz zu Jan um, konnte aber nicht verhindern, daß sein Blick immer wieder nervös zum Fußende der Trage irrte. Aber wie war es möglich, daß er etwas sah, was doch nur in Jans Einbildung existierte?
    »Wohin bringen Sie mich?« fragte Jan. Eigentlich nicht einmal aus wirklichem Interesse ~ wohin sollten sie ihn schon bringen? In ein Krankenhaus natürlich! ~, sondern weil er urplötzlich schläfrig wurde. Mit Sicherheit auch eine Folge der Infusion.
    Aber er wollte nicht schlafen. Er hatte Angst, daß der Schatten ihm dort hinüber folgen würde. Hier, in der Wirklichkeit, konnte er ihm entkommen, aber im Schlaf war er den Geschöpfen seines Unterbewußtseins hilflos ausgeliefert. Er war sich vollkommen darüber im klaren, daß diese unheimlichen Schatten nichts als Einbildung waren, aber anders, als er erwartet hätte, half ihm diese Erkenntnis nicht im geringsten, mit der Angst fertig zu werden, die ihm ihr Anblick einflößte.
    »In die Uniklinik«, antwortete Mertens.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher