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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Rand zu haben; wie eine Bluescreen-Aufnahme mit einer billigen Kamera.
    »Er ist … tot?« murmelte er nervös.
    »Ich fürchte.« Mertens sog hörbar die Luft ein und rutschte kurzerhand auf den Knien wieder zu Jan herüber. Ein Ausdruck von angedeutetem Schrecken huschte über sein Gesicht, als er Jans Blick begegnete und begriff, daß dieser seine Worte gehört hatte, aber er machte die Situation nicht noch schlimmer, indem er weiter darauf einging, sondern zwang schnell und routiniert wieder ein aufmunterndes ›Alles-wird-wieder-gut‹-Lächeln auf seine Züge. Eines von der Art, zu der nur Ärzte und Mütter von Kleinkindern imstande sind.
    »Haben Sie Schmerzen?« fragte er.
    Jan nickte, und Mertens sagte mit geschauspielerter Schadenfreude: »Gut. Wer Schmerzen hat, der lebt wenigstens noch. Halten Sie durch. Sobald der Krankenwagen da ist, gibt man Ihnen etwas.«
    »Das … geht nicht«, murmelte Jan.
    »Was?«
    »Der Krankenwagen.« Jan schluckte trocken. Er hätte seine rechte Hand für einen Schluck Wasser gegeben. Aber irgend etwas sagte ihm, daß er sich jede entsprechende Bitte sparenkonnte. »Ich kann nicht … ins Krankenhaus. Meine … Versicherungskarte ist in der anderen Jacke.«
    Mertens lachte leise. Der junge Mann neben ihm wirkte nun vollkommen fassungslos, aber er lachte nicht. Nur die dünne Linie aus Schatten, die sein Gesicht einrahmte, bewegte sich leicht.
    Der Krankenwagen kam tatsächlich wenige Minuten später. Jan konnte nicht sagen, wie viele. Etwas mit seinem Zeitgefühl stimmte nicht. Einige Sekunden, die er zusammen mit Mertens, einem ziemlich nervösen jungen Kartenabreißer und einem ziemlich toten Fremden in der Toilette des »Cinedom« verbrachte, schienen einfach kein Ende zu nehmen, andere waren vorbei, noch bevor er sie richtig registrierte. Aber irgendwann wurde die Tür aufgerissen, und zwei junge Männer in weißen Hosen und Hemden und orangefarbenen Jacken kamen herein, eine zusammengeklappte Trage zwischen sich und einen auf gleiche Weise gekleideten, aber deutlich älteren Notarzt in ihrer Begleitung.
    Was folgte, war die übliche Routine. Jan hatte sie noch nie am eigenen Leibe, ja, noch nicht einmal mit erlebt; aber er war doch ein typisches Kind der Mediengeneration, und so empfand er es nicht als so großen Unterschied, ob man nun die zwölfhundertste »Notruf«-Folge sah oder selbst auf die Trage gehoben wurde. Die Fernsehübertragung tat nicht ganz so weh, aber die körperlichen Schmerzen Jans hielten sich auch in Grenzen. Es war so, wie Mertens gesagt hatte: Nach einer ersten, überraschend flüchtigen Untersuchung durch den Notarzt und noch bevor er auf die Trage gehoben wurde, legte ihm einer der Sanitäter eine Infusion, die deutlich mehr enthalten mußte als Glukose und Schmerzmittel. Der unsichtbare eiserne Ring, der um seine Brust lag, lockerte sich kaum, aber die Schmerzen schwanden, und eine sonderbare, heitere Gelassenheit nahm von ihm Besitz. Valium zehn, schätzte er. Vielleichtauch Valium zwanzig oder hundert. Es war ihm gleich. Irgendwie war ihm alles gleich.
    Wie sich zeigte, war das Personal des »Cinedom« umsichtig genug gewesen, gleich zwei Krankenwagen zu bestellen, die mit ausgeschalteten Sirenen, aber laufenden Motoren und flackernden Blaulichtern direkt vor dem gläsernen Foyer warteten.
    Jan hatte hinterher Mühe, sich an den Weg zum Wagen zu erinnern. Er hatte sich immer gefragt, was es für ein Gefühl sein mochte, auf einer wackeligen Trage eine schmale Treppe hinunterbalanciert zu werden, deren Neigungswinkel jenseits aller Bauvorschriften lag, aber sein Zeitgefühl (oder vielleicht auch das Zeug, das aus dem Plastikbeutel in der Hand des Notarztes tropfte) spielte ihm einen neuerlichen Streich: Er hatte einen Blackout und nahm seine Umgebung erst wieder wahr, als er an den Kassenhäuschen vorbei und auf den Seitenausgang zugetragen wurde. Katrin war die ganze Zeit in seiner unmittelbaren Nähe. Jan konnte sie nicht sehen, aber dafür um so deutlicher hören. Dem Anschein nach hatten Mertens und Dieter alle Hände voll damit zu tun, sie davon abzuhalten, ihn vor lauter Sorge von der Trage zu reißen oder gleich selbst mit hinaufzuspringen.
    Einer der beiden Krankenwagen fuhr ab, als sie das Kino verließen. Jan war immer noch von einer – eigentlich sogar unangenehmen – heiteren, medikamentös herbeigeführten Gelassenheit erfüllt. Er fand beinahe alles, was rings um ihn herum und sogar mit ihm vorging, bis zu einem gewissen
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