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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Kopf wieder auf die Seite rollen und wollte gerade die Augen schließen.
    Der Schatten war da.
    Wie zuvor konnte er ihn nur aus den Augenwinkeln sehen, und er sparte sich gleich die Mühe, ihn mit Blicken fixieren zuwollen. Er wußte, daß es nicht möglich war. Man konnte nichts ansehen, was nicht wirklich da war.
    »Das kann ich nicht«, sagte der Arzt. »Sie dürfen nicht einschlafen, hören Sie? Gleich kommt jemand, der Ihnen hilft, aber so lange müssen Sie wach bleiben. Nur ein paar Minuten. Ist das in Ordnung?«
    Etwas an dem Dunklen hatte sich abermals verändert. Er stand jetzt einfach nur da, so reglos, als wäre er der Schatten einer Statue, die durch einen geheimnisvollen Zauber dem Lauf der Sonne folgte, so daß sich ihr Schatten niemals von der Stelle rührte, sondern seit Ewigkeiten gleich geblieben war.
    »Hören Sie mich?« Die Hand schüttelte ihn wieder. Die Mühe, den Kopf zu drehen und den Mann anzusehen, wäre Jan zu groß gewesen, aber er wußte auch, daß der Arzt keine Ruhe geben würde, und so murmelte er: »Ja, verdammt. Lassen Sie mich.«
    »Wie ist Ihr Name? Können Sie sich an Ihren Namen erinnern?«
    »Jan«, antwortete Jan. Er hatte jetzt den Punkt herausgefunden, bis zu dem er seine Augen bewegen konnte, bevor der Schatten anfing, sich weiter zurückzuziehen. Er konnte ihn kaum deutlicher erkennen, aber er spürte immerhin, daß auch der Dunkle seinerseits ihn anstarrte. Es war noch immer die gleiche unheimliche Silhouette, die frappierend vertraut, zugleich aber so furchteinflößend wie die Umrisse eines zwei Meter großen Arachnoiden zu sein schien. Und trotzdem – etwas war anders.
    »Jan, gut«, sagte der Arzt. »Ich bin Dr. Mertens. Und bis der Krankenwagen hier ist, sind Sie mein Patient, und ich bin für Sie verantwortlich. Verstehen Sie das?«
    Ganz plötzlich wurde ihm der Unterschied klar. Er konnte die Blicke der unsichtbaren Augen noch immer so deutlich spüren wie vorhin, aber etwas fehlte. Die Gier war nicht mehrda. Das Ding , das ihn anstarrte, war kein Raubtier mehr. Was er spürte, war allenfalls ein distanziertes, wissenschaftliches Interesse an seiner Person. Nun, zumindest war diese Ausgeburt seines Unterbewußtseins nicht mehr auf sein Leben aus.
    »Jan!« Mertens rüttelte unsanft an seiner Schulter, griff schließlich nach seinem Kinn und zwang seinen Kopf herum, so daß Jan ihn ansehen mußte. »Ihr Geburtsdatum«, verlangte er. »Sagen Sie mir Ihr Geburtsdatum.«
    »Diese Frage ist unhöflich«, murmelte Jan. »Zumindest in Zeiten der Gleichberechtigung.«
    »Sie machen es mir nicht leicht, Jan«, seufzte Mertens. »Verraten Sie mir wenigstens Ihren Nachnamen?«
    »Feller«, murmelte Jan. »Wie Tomate. Nur mit ›F‹.«
    Mertens’ Gesicht blieb ernst, aber in seinen Augen entstand ein leises, amüsiertes Funkeln. Vielleicht war es auch nur ein Ausdruck von Erleichterung. Jan war es egal. Er wollte den Kopf drehen, um nach dem Schatten zu sehen, aber Mertens ließ es nicht zu.
    »Haben Sie irgend etwas genommen, Jan?« fragte er. »Alkohol. Medikamente. Drogen. Gift …«
    »Nein«, antwortete Jan mühsam. Sein Mund war plötzlich so trocken, daß er kaum noch reden konnte. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, aber das Ergebnis war mäßig. Sandpapier, das über rauhen Stein rieb. »Höchstens … den Film. Aber ich wußte nicht, daß er … so schlimm ist.«
    Diesmal lächelte Mertens wirklich. »Ich glaube, er ist außer Gefahr«, sagte er, an jemanden außerhalb seines Gesichtsfeldes gerichtet. »Trotzdem – passen Sie auf, daß er nicht einschläft. Ich sehe nach dem anderen.«
    Mertens’ Gesicht verschwand und machte dem des jungen Mannes Platz, den er an der Kinotür getroffen hatte. Er sah jetzt wirklich besorgt aus und so nervös, wie Jan selten zuvor jemanden gesehen hatte. Er konnte hören, wie sich Mertensirgendwo links neben ihm an etwas zu schaffen machte, das sehr schwer zu sein schien und das nicht annähernd so bereitwillig auf seine Fragen antwortete, wie er es getan hatte. Jan sortierte mit einiger Mühe seine Gedanken und erinnerte sich nun, daß er nicht der einzige unfreiwillige Bewohner des Toilettenbodens war.
    Nach einer Weile sagte Mertens sehr leise und in irgendwie resignierend klingendem Ton: »Exitus.«
    Der junge Mann wandte nervös den Kopf, so daß Jan sein Gesicht nun im Profil sehen konnte. Es war ein sehr … sonderbares Profil. Seine Konturen waren zu scharf und schienen einen angedeuteten, schattigen
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