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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht. Das Wühlen in seiner Seele nahm zu, wurde ungeduldiger, fordernder. Etwas wurde aus ihm herausgerissen, schnell, schmerzlos, aber mit einem Gefühl von Endgültigkeit, das schlimmer war als jede vorstellbare körperliche Pein.
    Alle Kraft wich aus seinen Armen. Eine unsichtbare, aber unmenschlich starke Hand schloß sich um sein Herz und drückte es zu einem eisigen Klumpen zusammen. Er sank wieder nach vorne, ohne irgend etwas gegen die Bewegung tun zu können. Die Zeit dehnte sich wie halb trockener, fädenziehender Klebstoff. Die halbe Sekunde, die er brauchte, um zu stürzen, wurde zu einer ganzen Ewigkeit.
    Sehr viel schwerer als das erste Mal schlug er erneut mit dem Gesicht auf dem Boden auf. Seine Unterlippe begann zu bluten. Er schmeckte salzige Wärme, die sich mit dem unangenehmen Geschmack in seinem Mund zu etwas Düster-Modrigem verband, etwas, das nach Grab schmeckte und die Gewißheit des Todes mit sich brachte. In seinem Inneren wühlte und grub die körperlose Hand des Dunklen, riß das Leben Stück für Stück aus ihm heraus und zerrte ihn zugleich weiter auf einen unsichtbaren, saugenden Abgrund zu. Er war plötzlichTeil eines Gemäldes von Hieronymus Bosch, hilflos, verloren in der rätselhaften Symbolik.
    War das der Tod?
    Er wollte sich aufbäumen, kämpfen, aber er wußte nicht wie. Gegen wen. Der Dunkle war nicht real, natürlich nicht. Er war nicht wirklich da. Trotzdem schien er mit jeder Sekunde, jedem Herzschlag, der nicht kam, mehr an Substanz zu gewinnen: ein höllischer Magier, der aus dem Spiegel der Ewigkeit hervortrat. Er schien jedes Interesse an seinem ersten Opfer verloren zu haben und stand nun breitbeinig, mit weit nach vorne gebeugten Schultern und hängenden Armen, über ihm. Seine Hände wühlten, gruben …
    Und dann spürte Jan plötzlich, daß da noch etwas war; vielleicht ein zweites schattenhaftes Ding aus dem Jenseits, vielleicht auch etwas vollkommen anderes. Die körperlose Kälte, die sich in seinem Leib ausgebreitet hatte, zog sich zurück, und die Schatten begannen einen irrsinnigen, rasend schnellen Tanz im Raum aufzuführen, wie der Kampf zweier riesiger rauchiger Vögel, lautlos, schnell und mit kompromißloser Kraft und Entschlossenheit geführt.
    Schritte näherten sich. Jemand rief seinen Namen, zuerst halblaut, in jenem nicht überzeugend leichten Ton, hinter dem sich Sorge verbarg, dann etwas lauter. Die Schritte wurden schneller.
    »Jan? Bist du ins Klo gefallen, oder was ist los?«
    Es war Dieters Stimme. Jan wollte antworten, aber er konnte es nicht. Er konnte immer noch nicht atmen. Es war ihm unmöglich zu sagen, wie lange er hier schon lag, aber es konnten erst wenige Sekunden sein. Er hatte tatsächlich nicht geatmet, seit ihn die Hand des Dunklen berührt hatte. Wie konnte Dieter so schnell hier heraufgekommen sein?
    »He, Alter, das ist nicht mehr lustig. Jetzt antworte endlich – Großer Gott! «
    Zu den beiden kämpfenden Schatten gesellte sich ein dritter, der zu einem realen, stofflichen Körper gerann. Dieter rief ein zweites Mal und noch inbrünstiger »Großer Gott!« , setzte mit einem ungeschickten Sprung über den reglosen Körper vor der Tür hinweg und fiel mehr neben ihm hin, als er sich auf die Knie fallen ließ.
    »Was ist passiert? Mensch, Alter, mach kein’ Quatsch!«
    Er begann rüde an Jans Schultern zu rütteln, hörte ebenso plötzlich wieder damit auf und schrie, offensichtlich an jemanden außerhalb des Raumes gewandt: »Hilfe! Einen Arzt! Schnell!«
    Die Schatten waren immer noch da. Sie kämpften am Rande seines Gesichtsfeldes, vielleicht auch am Rande der Wirklichkeit, schienen jetzt aber nicht mehr ganz so deutlich zu sein wie zuvor, als hätte Dieters Auftauchen wieder ein bißchen mehr Realität in den Raum gebracht. Sie waren nun wie etwas, das Substanz gewinnen wollte, ohne daß es ihnen wirklich gelang.
    Jan kam die Situation zunehmend unwirklich vor; wie ein Traum – wenn auch einer von der wirklich unangenehmen Sorte – oder einer jener surrealistischen Kurzfilme, in die ihn Dieter ständig schleifte und die alles haben durften, nur keine stringente Handlung und, um Gottes willen, keinen Sinn . Es mußte ein Traum sein.
    Wenn es einer war, dann war er nicht nur außergewöhnlich bizarr, sondern auch außergewöhnlich realistisch, trotz allem: Dieter drehte ihn rücksichtslos herum, als hätte er alles vergessen, was er jemals über Erste Hilfe gehört hatte, rüttelte dabei weiter wild an seinen
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