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Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Titel: Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Matthies
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Augenbraue in die Höhe.
    »Rufus?«
    »Hm?«
    »Hör zu: Ich muss los.«
    »Ein neuer Fall?«
    »Weiß ich noch nicht. Jedenfalls wollte ich dich vorher um etwas bitten.«
    »Sicher, Ray.«
    »Es geht um Elsa.«
    »Ah, Elsa.«
    »Sie ist verschwunden.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, tatsächlich. Wahrscheinlich schon letztes Jahr. Stattdessen hockt jetzt ein peruanisches Hasenhörnchen in …«
    »Du meinst sicher eine peruanische Hasenmaus«, verbessert mich Rufus. Selbst wenn sein Gehirn nur auf Standby läuft, kann er noch klugscheißern.
    »Jedenfalls ist sie verschwunden, und ich muss wissen, was mit ihr passiert ist. Kannst du in der Richtung mal ein paar Nachforschungen anstellen, während ich weg bin?«
    »Sicher.«
    »Rufus?«
    »Hm?«
    »Ist wirklich wichtig.«
    »Sicher.«
    Zurück am Zaun, halte ich kurz inne und lasse meinen Blick Phils Strampelanzug hinaufwandern. »Ich sollte dir noch etwas sagen …«
    Phil wölbt eine Augenbraue.
    »Dein Anzug …«
    Phil sieht an sich herunter. »Was ist damit?«
    Gibt’s den auch für Männer, denke ich, sage aber stattdessen: »Ach nichts. Tut gut, dich zu sehen.«
    Er bekommt einen wehmütigen Zug um die Augen und erwidert: »Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal zu einem Erdmännchen sagen würde, aber …«
    »Du freust dich auch, mich zu sehen?«
    Er blickt sich um, nimmt seine Umhängetasche und setzt sie in unserem Gehege ab. »Wir sollten los«, sagt er, ohne meine Frage zu beantworten. »Sonst verpassen wir noch das Eröffnungsrennen.«
    Am Himmel über Phil zeigen sich erste bläuliche Schlieren in der Wolkendecke. Irgendwo über dem Tiergarten gehen die ersten Sonnenstrahlen nieder. Phil greift in sein Jackett, zieht seine Sonnenbrille hervor und setzt sie auf. Anschließend nimmt er einen winzigen Schluck aus seinem Flachmann. Drei durchzechte Nächte und ein bisschen Liebeskummer, denke ich, und er ist wieder ganz der Alte.
    Ich schlage den Deckel der Tasche zurück, steige hinein und spüre etwas Weiches unter meinen Klauen. Etwas sehr Weiches. Kaschmir. Vom Boden der Tasche lächelt mich das Blau von Phils Anzug an.
    »Was ist das denn?«, frage ich.
    »Vom Stoff war noch etwas übrig, also hab ich dir ein Kissen daraus nähen lassen. Mit Alpakafüllung.«
    Da wälzt sich mein Partner mit einer steinreichen Edelschlampe unter der südafrikanischen Sommersonne, sie verpasst ihm einen Maßanzug, und er hat nichts Besseres im Sinn, als seinem Erdmännchen-Partner in Berlin aus den Resten ein Kissen für seine Umhängetasche nähen zu lassen. So viel zum Thema: keine Sentimentalitäten unter Profis.
    Ich schließe die Tasche und mache es mir im Halbdunkel bequem. Echt kuschelig. Nicht so weich wie Elsas Fell natürlich, aber verdammt nah dran.
    »Wir sollten los«, rufe ich, und die Tasche löst sich vom Boden und schwebt über das Geländer.
     
    Um ehrlich zu sein: Die Galopprennbahn ist nicht, was ich erwartet habe. Ich will nicht sagen, dass die Anlage heruntergekommen oder schmuddelig oder – um hier mal die Pferde ins Spiel zu bringen – abgehalftert ist oder so. Aber sie hat ganz klar schon bessere Zeiten erlebt. Ein bisschen wie ich mir eine ehemalige Goldgräberstadt vorstelle: Vor tausend Jahren oder so haben ein paar Wagemutige die Anlage aus dem Boden gestampft und ihrer großen Blütezeit entgegengeführt. Zigarren paffende Männer mit Kettenuhren zeigten Frauen in Pelzmänteln vor, deren Hüte die Durchmesser von Bistrotischen hatten. Es gab eine Club-, eine Haupt- und eine Nebentribüne, das einfache Volk drängte sich auf dem Rasenstreifen entlang der Zielgerade, und vor lauter weggeworfenen Wettscheinen konnte man den Boden kaum sehen.
    Was soll ich sagen: Ist lange her. Was sich hier heute noch drängt, sind die zermatschten, frisch aufgetauten Blätter des vergangenen Herbstes, die beim Drübergehen schmatzende Geräusche von sich geben. Interessanterweise scheint auch das Frittenfett in den Pommesbuden noch vom vergangenen Herbst zu stammen. Was man von der Bedienung nicht sagen kann: Die stammt noch aus der guten alten Zeit und erinnert sich in schwachen Momenten an die stattlichen Männer mit ihren Monokeln, die noch den Hut lupften, wenn sie einen grüßten. Und an die Westentaschen voller Geld.
    Dennoch zieht das Eröffnungsrennen auch heute noch eine Menge Besucher an: Soweit ich das durch die Seitenöffnung von Phils Umhängetasche erkennen kann, sind die Biertische vor den Ständen bereits voll besetzt, man erfreut
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