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Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Titel: Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Matthies
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überlegt: »Ja, und?«
    »Frühlingsanfang ist noch nicht«, erklärt Rufus so einfach wie möglich.
    Rocky beim Denken zuzusehen ist ein schmerzhafter Prozess. »Hab ich nicht eben verkündet, dass Frühlingsanfang ist?«
    »Hast du«, bestätigt Rufus.
    »Und bin ich der Clanchef?«
    »Ja, bist du.«
    »Dann ist jetzt aber so was von Frühlingsanfang«, schlussfolgert Rocky.
    Rufus seufzt. Sein Leben als intellektuell versiertes, philosophisch geschultes, der Schriftsprache mächtiges Erdmännchen ist für ihn ein niemals endendes »Steinerollen«. Sind seine Worte, nicht meine. Er hat mir erklärt, er fühle sich wie jemand, der jeden Tag aufs Neue einen riesigen Stein einen Berg hinaufrollt, der dann am nächsten Tag wieder im Tal liegt. Als ich ihn gefragt habe, warum er den Stein nicht einfach im Tal liegen lässt, meinte er nur: »Da siehst du es!«
    »Rocky«, setzt er jetzt an, und ich bekomme eine Ahnung davon, dass einer aus unserem hübschen Trio am Ende dieser Unterredung eine Schelle kassieren wird. Es wird auf keinen Fall Rocky sein, und ich vermutlich auch nicht. »Nur weil du unser Clanchef bist«, fährt Rufus fort, »bedeutet das nicht automatisch, dass du auch bestimmst, wann Frühlingsanfang ist.«
    »Hast du gerade
nur
gesagt?«, entgegnet Rocky.
    »Was ich mit diesem
nur
«, Rufus setzt das Wort mit seinen Krallen in unsichtbare Anführungszeichen, »auszudrücken versuche, ist: Als Clanchef bestimmst du über den Clan, nicht aber über den Lauf der Jahreszeiten.«
    Batz! Mit einem vertraut klingenden Stöhnen geht Rufus zu Boden. Was habe ich gesagt?
    Als er wieder auf die Beine kommt, renkt er mit geübtem Griff seinen Hals ein und streicht sich das Fell über dem linken Auge in die richtige Richtung. »Du kannst mich hundert Mal schlagen, Rocky, doch auch das wird nichts am Lauf der Jahreszeiten ändern.«
    Rocky beugt sich drohend vor: »Ach ja?«
    Rufus zieht instinktiv den Kopf ein, bevor er antwortet: »Ja.« Steine den Berg hinaufrollen … Er kann es einfach nicht lassen.
    Ich kneife die Augen zusammen, doch statt Rufus die nächste Schelle zu verpassen, wirkt Rocky plötzlich merkwürdig in sich gekehrt.
    Er sieht sich um, als wolle er im Zooshop einen Glasdelphin mitgehen lassen. »Was ich euch jetzt sage, bleibt unter uns, klar?«
    Ich nicke.
    »Selbstverständlich«, bestätigt Rufus.
    »Es ist …«, setzt Rocky an.
    »Es ist«, ermuntert ihn Rufus.
    Rocky kratzt sich an seinem Hüftring. »Wegen …«
    »Wegen?«
    »Quatsch mir weiter alles nach, und du fängst gleich noch eine«, warnt Rocky.
    Wie ich unseren großen Bruder so dastehen sehe – mit hängenden Schultern und zerknitterten Augen – und ihn dabei beobachte, wie er um Worte ringt, da wird mir auf einmal klar, was los ist.
    »Roxane«, sage ich.
    Treffer. Rockys sonst so geschwellte Brust sinkt in sich ein.
    »Es ist wegen Roxi, und es ist wegen der Kinder«, setze ich nach. Und weil ich nicht sicher bin, ob Rocky die Namen seiner Kinder auch alle auf dem Schirm hat, zähle ich sie ihm auf. »Wegen Colin und Celina und Cindy und Chantal.«
    Jeder neue Name zwingt unseren Clanchef weiter in die Knie. »Die besonders«, gesteht er.
    »Ihr Gezeter geht dir schwerpunktmäßig auf die Eier«, sage ich.
    Er nickt und wirkt sehr müde: »Noch einen Tag länger in diesem Haus, und ich schlage mit dem Kopf die Scheibe ein.«
    »So etwas kann aber mitunter üble Schnittwunden nach sich ziehen«, bemerkt Rufus.
    Rocky hebt kurz die Schultern, um sie gleich darauf wieder sinken zu lassen. »Wär ja dein Kopf.« Er bemerkt das Entsetzen in Rufus’ Gesicht und erklärt: »Glaubt ihr etwa, ich würde
meinen
Kopf nehmen? Bin doch nicht bescheuert.«
    Es wird sehr still.
    »Klassischer Fall von Lagerkoller«, diagnostiziert Rufus.
    »Red keinen Scheiß, Mann«, entgegnet Rocky, für den das Wort Lagerkoller ein schwarzer Kasten ohne Inhalt ist. »Es ist so, wie Ray gesagt hat: Die gehen mir einfach …«
    »… schwerpunktmäßig …«
    »… jedenfalls gehen sie mir auf die Eier.« Wieder schweigen wir einen Moment. Dann fügt Rocky hinzu: »Ihr mir übrigens auch.«
    Wie auf Zuruf zwängt sich unsere Schwester Roxane durch die Klappe, die Sphäre  2 mit Sphäre  1 verbindet. An einer Klaue hält sie Cindy, an der anderen Chantal.
    »Wo bleibst du denn?«, durchschneidet ihre Stimme den Raum. Rockys Körper richtet sich auf wie der einer Marionette. »Ich denke, du hilfst mir, die Sachen für die Kinder zu
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