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Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Titel: Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Matthies
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den anderen verschwunden.«
    Ich stolpere rückwärts über das eingetretene Burgtor, schramme unsanft über den Beton, rappele mich auf und schleiche auf allen vieren zur Gehegetür.
    »Und wer repariert mir dit jetze?«, höre ich entfernt Erwins Stimme, doch da wischt bereits das Kupferdach durch mein Blickfeld, ich stolpere blindlings den Hang hinunter und höre unter mir die Schilfrohre knacken. Dann hat mein Bewusstsein ein Einsehen mit mir und blendet sich aus.
     
    Ich werde aus der Düsterkeit meiner Versenkung gerissen, als mich eine Erdnusshülse am Kopf trifft.
    »Guck mal!« Ein Rotzlöffel mit Hertha-Mütze stößt seinem Mitschüler den Ellenbogen in die Seite und deutet mit dem ausgestreckten Finger auf mich. »Ich hab ihn aus dem Winterschlaf geholt!«
    Ich stehe in unserem Gehege und blicke zu Elsas Holzburg hinüber, in der jetzt Erwin schläft, als wäre nichts. Irgendwie muss ich es geschafft haben hierherzukommen, bevor der Zoo seine Pforten geöffnet hat.
    Ich tue es dem Jungen nach und fixiere mit einer ausgestreckten Kralle einen unsichtbaren Punkt zwischen seinen Augen: »Sehe ich vielleicht aus wie ein Eichhörnchen, du Blödklops? Ich bin ein Erdmann! Da, wo ich herkomme, gibt es keinen Winter – sagt jedenfalls mein schlauer Bruder –, und deshalb mache ich auch keinen Winterschlaf!«
    Man ist geneigt zu verdrängen, dass der Frühling neben all den schönen Dingen naturgemäß auch unschöne mit sich bringt: nervige Kinder, lustlose Lehrer, dämliche Flamingos und noch dämlichere Pinguine, um an dieser Stelle nur eine winzige Auswahl zu nennen.
    Ich hebe die Erdnuss auf, ziele zwischen die Augen des Jungen und schleudere die Hülse mit aller Kraft durch die Gitterstreben. Leider landet sie vollkommen wirkungslos zu seinen Füßen auf dem Kiesweg.
    Der Junge pfeift anerkennend durch seine bräunlich verfärbten Zähne, zertritt demonstrativ die Erdnuss, zieht eine Tüte Gummibärchen aus seiner Jackentasche, greift hinein und stopft sich eine Handvoll von ihnen in den Mund. Zwei fallen zu Boden. »Verschärft, kleiner Mann«, blubbern die Worte aus seinem Mund. Dann zieht die Gruppe weiter.
    »Du bist ja echt voll der krasse Typ«, rufe ich ihm nach, »kannst schon eine ganze Erdnuss zertreten!«
    In unserem Gehege herrscht rege Betriebsamkeit, wie ich feststelle. Der vierte Wurf, allen voran Nino und Nick, haben sich freiwillig zum Aufräumdienst gemeldet, in der Hoffnung, irgendwo Cola-Lollis oder Traubenzucker aufzustöbern. Der zweite Wurf ist damit beschäftigt, die Wachposten auf ihre Tauglichkeit zu inspizieren. Marcia und ihre Freundinnen aus dem fünften Wurf streiten sich um einen magischen Würfel. Ma führt Cindy und Chantal herum und macht sie mit den Besonderheiten unseres Geheges vertraut, während Roxi sich mit der nimmersatten Celina zum Stillen zurückgezogen hat.
    Unterdessen ist Rocky damit beschäftigt, Colin, dem einzigen Männchen aus Roxis Wurf, die Grundlagen des Wachehaltens beizubringen. »Du musst vor allem auf zwei Sachen achten«, schärft er seinem Sohn ein.
    »Puffottern und Savannenadler«, flüstere ich leise vor mich hin.
    »Auf Puffottern und auf Savannenadler!« Unser Clanchef unterstreicht die Wichtigkeit des Gesagten, indem er bei dem Wort »Savannenadler« abwehrend eine Klaue gen Himmel streckt.
    Rufus, der traurig auf dem unteren Vorsprung unseres Felsens sitzt und die Arbeiten koordiniert, verdreht die Augen. Der Arme hat es wahrlich nicht leicht. Erst musste er jahrelang ertragen, dass Pa immer wieder die vermeintliche Gefahr vor Puffottern und Savannenadlern beschwor, jetzt muss er erleben, wie Pas Erstgeborener diesen Sülz eins zu eins an die nächste Generation weitergibt. Hinzu kommt, dass Rufus’ erst Verlobte, dann Ex-Verlobte und inzwischen So-gut-wie-wieder-Verlobte Natalie, kaum dass wir das Steinhaus verlassen haben, sich bereits wieder unten am Zaun mit gespreizten Beinen in der Sonne räkelt. Dabei scheint die gar nicht.
    Ich tue nichts – außer mir mein Erdmännchenhirn zu zermartern. Was ist mit Elsa geschehen? Wenn Erwin die Wahrheit gesagt hat, muss sie bereits vor Monaten aus ihrem Gehege verschwunden sein. Krankenstation fällt also aus. Hat man sie an einen anderen Zoo ausgeliehen, damit sie sich dort mit einem wie Giacomo paart und Junge bekommt? Unwahrscheinlich. Also was? Ist sie entführt worden? Möglich. Ihr Pelz ist Millionen Wert – was einen nicht wundert, wenn man weiß, dass der russische Präsident
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