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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte
Autoren: Robert Knapp
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DER BLICK IN DEN SCHATTEN
    D ieses Buch beschäftigt sich mit Menschen, die von der Geschichte vergessen wurden. Ich versuche aufzuhellen und zu verstehen, wie das Leben der breiten Bevölkerungsschichten aussah, die in den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, von der Zeit des Augustus bis zur Thronbesteigung durch Konstantin, in Rom und seinem Reich beheimatet waren. »Vieles in der Geschichte Griechenlands und Roms«, schreibt der britische Althistoriker Michael Crawford, »ist uns ganz einfach unzugänglich.« Zeugnisse liegen nur lückenhaft vor und sind oft schwer zu deuten. Unter den Wissenschaftlern wird lebhaft darüber gestritten, wie weit sich die römische Welt erschließen lässt. Unsere Welt, die Welt des 21. Jahrhunderts, unterscheidet sich in zahllosen Aspekten von der des alten Rom, nicht zuletzt in unseren Einstellungen und Erwartungen. Angesichts der geringen Zahl erhaltener Zeugnisse aus dem römischen Alltagsleben will es allmählich so scheinen, als blieben die gewöhnlichen Römer unseren Augen in ihrer Unsichtbarkeit unwiederbringlich entzogen.
    Doch brauchen wir nicht zu verzweifeln. Die Zeugnisse eines bestimmten Zeitabschnitts lassen sich durch sorgfältige Nutzung von Quellen aus der vorausgehenden und nachfolgenden Zeit ergänzen. Ältere Kulturen waren beständiger als die unsere. Die Fortdauer der Agrarkultur und -wirtschaft in der alten Welt lässt vermuten, dass sich die Menschen dieser Zeit in ihrem Verhalten sehr ähnlich waren, nicht aufgrund von Kontakten und Gemeinsamkeiten, sondern weil sie dieselben Überlebenskämpfe ausfochten. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht nicht nur die Stadt Rom, sondern die gesamte römische Welt. Man könnte meinen, der römische Charakter sei in den lateinisch sprechenden Teilen dieser Welt stärker ausgeprägt gewesen als in Gegenden, in denen andere Sprachen dominierten, eine Annahme, für die jedoch weder dieQuellenlage noch die Logik spricht. Wir besitzen eine größere Zahl nützlicher Zeugnisse aus dem überwiegend griechischsprachigen Teil des Kaiserreichs, vor allem aus Ägypten. Sie enthalten nicht nur aufschlussreiche Beobachtungen über das Landleben, sondern befassen sich (wie auch wir es tun werden) zu großen Teilen mit dem Leben der Stadtbewohner. Die Erfahrungen des Lebens in Groß- oder Provinzstädten, die oft nach römischem Muster gegründet und regiert wurden, führte zu zahlreichen Übereinstimmungen in Denk- und Verhaltensweisen. Damit soll weder die kulturelle Vielfalt des Reiches geleugnet noch behauptet werden, dass nun jeder auf ebendiese Weise dachte und agierte. Doch die Ähnlichkeiten in Anschauungen und Verhalten lassen es sinnvoll erscheinen, alle uns zur Verfügung stehenden Quellen zu nutzen, solange unsere Fragen sorgfältig gestellt und unsere Antworten kritischer Prüfung unterzogen werden.
    Über die Schwierigkeiten von Raum und Zeit hinaus konfrontieren uns die Quellen mit einem zusätzlichen Problem: Was erhalten ist, wurde im Allgemeinen von den Reichen und Mächtigen selbst oder für sie geschaffen und blendet das Tun und Denken der übrigen Schichten aus. Der der Oberschicht angehörende Historiker Ammian hat diesen Umstand gegenüber den Kritikern historischer Darstellungen wie folgt gerechtfertigt:
     
    Sie fühlen sich gekränkt, wenn man übergeht, was der Kaiser während der Tafel gesprochen hat, oder ausläßt, aus welchem Grund einfache Soldaten bei den Fahnen bestraft worden sind, oder weil man … über kleine Kastelle nicht hätte schweigen dürfen … Ähnliche Vorwürfe gibt es noch viele, aber sie widersprechen den Gesetzen der Geschichtsschreibung, die gewöhnlich nur die Höhepunkte der Ereignisse beschreibt, nicht aber den Kleinigkeiten niederer Sphären nachspürt. Denn wenn jemand diese erforschen wollte, könnte er die Hoffnung hegen, daß sich auch jene unteilbaren Körperchen, die im leeren Raum schweben und die wir Griechen Atome nennen, zählen ließen. (
Res gestae

Römische Geschichte
26,1,1)
     
    So steht es dem Historiker frei, Schwierigkeiten weitestgehend auszuschalten, wenn er schildert, was die römische Elite interessierte – Politik und Kriege, Themen wie die Schaffung und Durchsetzung von Gesetzen,Philosophie, Kunst sowie die Verteidigung einer Sozialstruktur, die ihr selbst den höchsten Platz zuwies. Jährlich erscheinen zahlreiche Bücher zu diesen Themen, aber die Quellen, das Herzensanliegen der Historiker, tragen mehr zur Verdunkelung als zur
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