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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte
Autoren: Robert Knapp
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Daraus ergibt sich, dass dort, wo »Römisches« zum Thema wird, der Beschreibung der römischen Gesamtbevölkerung in aller Regel die Geisteswelt und Kultur der Oberschicht zugrunde gelegt wird, etwa wenn man von »römischer Zivilisation« oder vom »Verhältnis der Römer zu Frauen« spricht oder schreibt. Von dieser Gepflogenheit weiche ich hier ab und richte meine Aufmerksamkeit stattdessen auf die normale Bevölkerung, auf die gewöhnlichen Menschen, die in der sozialen Pyramide unterhalb der Hochgestellten, und für diese im Allgemeinen unsichtbar, ihren Platz haben. Unter den gewöhnlichen Menschen verstehe ich jeden Freien unterhalb der Oberschicht und über dem mittellosen Tagelöhner oder Bauern. Ihre Anschauung vom Leben, mit ihren Augen betrachtet, gibt ein reiches Mosaik an Denk- und Handlungsweisen zu erkennen, vollzieht sich ihr Leben doch außerhalb des beschränkten Blickwinkels der aristokratischen Zirkel des Reiches. Ist ihre geistige Welt in gewissen elementaren Belangen auch dieselbe wie die der Elite, da beide letztlich Teil derselben Kultur waren, so lassen ihre Anschauungen und Einstellungen doch signifikante Unterschiede erkennen.
    An der Spitze der sozioökonomischen Pyramide stand die Elite des Reiches. Das Qualifikationskriterium war das Vermögen: 400   000 Sesterzen für den Ritter, über eine Million Sesterzen für den Senator. Unter den geschätzten 50 bis 60 Millionen Menschen im Römischen Reich gab es vielleicht 5000 erwachsene Männer, die einen so immensen Reichtumbesaßen. Unter ihnen, aber meist weit darunter, stand die Elite der Provinzstädte. Nimmt man für jede der 250 oder 300 Kleinstädte, deren Größe über die eines Dorfes hinausging, im Schnitt 100 oder 125 männliche Erwachsene an, kommt man auf weitere 30   000 bis 35   000 sehr wohlhabende Personen. Die steile sozioökonomische Stufung der römischen Welt hatte zur Folge, dass sich wahrscheinlich 80 Prozent oder mehr des Gesamtvermögens in den Händen der Elite befanden. Die Römer selbst drückten diesen scharfen Bruch zwischen Elite und Nicht-Elite im sozioökonomischen Bereich sprachlich aus: Die Schwerreichen nannten sie
honestiores
(die Ehrenwerteren), den Rest der Freien
humiliores
(die Geringeren). Dieser »Rest« umfasste 99,5 Prozent der Bevölkerung.
    Unterhalb der Schwerreichen gab es auf der sozialen Leiter eine ansehnliche Zahl von Personen, die verglichen mit den sehr Vermögenden über weit weniger Mittel verfügten, Mittel allerdings, die am unteren Ende mit einiger Sicherheit das tägliche Brot garantierten und am oberen Ende zu einem Lebensstil verhalfen, der ausreichend Muße erlaubte, um soziale, politische und kulturelle Interessen zu verfolgen. Dazu gehörten die kleineren Landbesitzer, die Kaufleute und Handwerker, erfolgreiche Soldaten und die von diesen Gruppen und der Oberschicht Finanzierten (Lehrer, Ärzte, Architekten u. a.). Diese Männer und ihre Familien machten vielleicht 25 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Neben relativ gesicherten Ressourcen verbindet diese Normalbürger eine weitere Besonderheit: Sie alle, ob Kaufleute oder Handwerker oder wohlhabende Bauern, schätzen die Arbeit. Das führt zu einer Konvergenz der Anschauungen auch dann, wenn sich das tatsächliche Vermögen und die Beschäftigung der Einzelnen stark unterscheiden. Um diese Menschen geht es mir im Folgenden. Ihre geistige Welt möchte ich erfassen.
    Soziale Einstellungen
    Zeichen der Hierarchie und sozialen Stellung waren allgegenwärtig. Die Summe von 10   000 Denaren zum Beispiel, eine Stiftung des Manius Megonius Leo, Bürger der italischen Stadt Petelia (heute Strongoli), sollte investiert und der Ertrag abgestuft verteilt werden: 450 Denare des Jahresertrags wurden für die Feier seines Geburtstags ausgegeben. Mit 300Denaren finanzierte man ein Bankett, allerdings nur für die lokale Elite, die Dekurionen. Was nach Abzug der Bankettkosten blieb, wurde in bar unter die anwesenden Dekurionen verteilt. Weitere 150 Denare waren für ein Bankett zu Ehren der Augustales bestimmt, der zur Elite zählenden Priestergruppe aus vermögenden Freigelassenen, und was übrig blieb, ging an die anwesenden Augustales. Schließlich erhielten noch jeder Bürger und seine Ehefrau einen Denar, eine Summe, die dem gut berechneten Tageslohn eines Arbeiters entsprach; ein Bankett war nicht vorgesehen (
ILS
6468). Schenkungen dieser Art machten die soziale Hierarchie besonders sichtbar, ebenso wie die abgestufte Sitzordnung
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