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Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Dumm gelaufen: Roman (German Edition)

Titel: Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Matthies
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aussehenden Geldschein über die Theke und erhält etwas, das verdächtig nach BVG -Fahrschein aussieht.
     
    Das Rennen geht über die lange Distanz, wie Phil mir erklärt hat, 2200 Meter. Er hat sich durch die Menge geschoben und uns einen Platz am Bahnrand gesichert, in unmittelbarer Nähe der Ziellinie. Neugierig strecke ich meine Nase aus der Seitenöffnung seiner Tasche. Der Himmel ist blau, das Gras grün. Es riecht nach Schultheiss und Boulette. Drei Etagen über uns sitzt Piet Hansen in seiner VIP -Loge und nippt an seinem Champagner. Als die Pferde den Weg zwischen den Tribünen entlang zur Bahn geführt werden, ist eine allgemein steigende Nervosität spürbar. Die Anspannung überträgt sich vom Pferd auf den Reiter und springt von dort auf die Zuschauer über. Nur Störtebeker macht eine Ausnahme. Den scheint der ganze Trubel nichts anzugehen. Während Stardust immer wieder ausbricht und vier Männer nötig sind, um ihn einzufangen und in die Startbox zu schieben, trippelt Störtebeker erhobenen Hauptes in seine Box, ohne sich von jemandem anfassen zu lassen. Über Lautsprecher werden die einzelnen Pferde vorgestellt und die Wettquoten verkündet. Dann ist es so weit. Die Pferde stehen in den Boxen, der Atem geht schneller, der Blutdruck steigt, die Menge drängt zur Absperrung.
    GO !
    Die Türen springen auf, die Pferde sprengen aus den Boxen. Und weg sind sie. Beeindruckend. Der Stadionsprecher, dessen Stimme ebenfalls in gestrecktem Galopp unterwegs ist, hält die Zuschauer über die Entwicklung des Rennens auf dem Laufenden. Wenn ich es richtig verstehe, liegt Stardust bereits ausgangs der ersten Kurve ziemlich abgeschlagen auf dem vorletzten Platz, einzig gefolgt von Störtebeker, der dem Feld hinterhertrabt, als ginge es darum, wer am Ende die meisten Ostereier gefunden hat. Auf der Gegengeraden gelingt es den beiden noch einmal, den Anschein zu erwecken, als könnten sie zum Rest des Feldes aufschließen, eingangs der Schlusskurve allerdings ist endgültig klar: Wer auch immer dieses Rennen gewinnt, es werden nicht Stardust und schon gar nicht Störtebeker sein.
    Da die Schlusskurve so weit entfernt ist, dass die Zuschauer von der Tribüne aus nur bunte Punkte auf bräunlichen Flecken erkennen können, verfolgen viele das Geschehen auf der Videoleinwand, die an einer der Tribünen angebracht ist. Offenbar auch Phil. Denn während ich noch darauf warte, dass die Pferde endlich auf die Zielgerade einbiegen, die ich ganz gut im Blick habe, spüre ich, wie sich sein Körper anspannt und er ein Geräusch macht, als habe er Zahnschmerzen. Gleichzeitig geht ein Raunen durch die Menge, einige Frauen rufen »O mein Gott!« und »Das ist ja schrecklich!«.
    »Uuuhh – das sah alles andere als gut aus!«, verkündet jetzt auch der Stadionsprecher, als kommentiere er einen Tiefschlag beim Boxkampf.
    »Was ist los?«, raune ich Phil zu.
    »Eins der Pferde ist gestürzt«, erwidert mein Partner.
    »Störtebeker?«
    »Versuch’s noch mal!«
    Was das heißt, kann ich mir an einer Kralle abzählen: »Stardust.« Das Pferd, auf das wir gewettet haben.
    Phil schweigt. Keine Antwort ist auch eine Antwort. »Da kommen die anderen«, sagt er.
    Und tatsächlich galoppiert das Feld in atemberaubendem Tempo heran, der Sturz ist für den Moment nur noch Nebensache, an der Spitze liegt ein schwarzes Pferd mit einem Jockey in Giftgrün, dicht gefolgt von einem Harlekinkostüm und einem in leuchtendem Gelb. Auf den letzten Metern sucht sich jeder der drei in Führung liegenden Jockeys eine eigene Bahn, schlägt besinnungslos auf sein Pferd ein und kämpft um jeden Zentimeter. Am Ende ist mit bloßem Augen nicht zu erkennen, wer als Erster durchs Ziel geht.
    »Wenn das kein spannendes Rennen war«, tönt es aus den Lautsprechern. »Und das am ersten Renntag der Saison! Über den Sieger, meine Damen und Herren, wird erst das Zielfoto Aufschluss geben, und während wir gespannt auf die Auswertung warten, schalten wir mit der Kamera zur Schlusskurve hinüber, wo, wie Sie sehen, der Jockey aus dem Gestüt Uckermark noch immer bewusstlos auf der Bahn liegt, während um den gestürzten Stardust bereits schwarze Laken gespannt werden, um uns den Anblick seines Elends zu ersparen. Das sieht wirklich gar nicht gut aus. Was für ein schrecklicher, schrecklicher, schrecklicher Zwischenfall!« Der Sprecher gibt dem letzten Satz ein paar Sekunden, um maximale Betroffenheit zu entfalten, dann meldet er sich zurück: »Meine Damen und
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