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Duftspur

Duftspur

Titel: Duftspur
Autoren: Sinje Beck
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der mir das Wägelchen hat angedeihen lassen. Meine Bedürftigkeit hat den Wagen vor der Schrottpresse bewahrt. Torsten fegt abermals über meine Füße und ich registriere, dass ich immer noch mit der Tasse in der Hand regungslos dastehe. Ich stelle den Kaffeepott ins Regal zurück und mache mich aus dem Staub, wie jeden Tag um die Uhrzeit. Die Schreinerei-Crew ist bereits auf dem Weg in den Speisesaal, sobald Torsten das Fegen beendet hat, wird er sich mit seinen 1,90 Metern beinahe überschlagen, um nicht als allerletzter dort anzukommen und nur noch Käserinde zu erwischen. Bevor ich das Licht lösche und die Werkstatt abschließe schweift mein Blick über die lieb gewonnene Umgebung. Ich rieche intensiv den Geruch frisch gesägten Holzes, Harz, Rückstände von Leim, Farbe und Bienenwachs. Einmal noch inhalieren, Bild einpacken, Schalter drücken und Tür zu.
    Das Geklapper und Geplapper aus dem Speisesaal dringt von unten zu mir herauf. Ich muss unbedingt noch mit Alfons reden, wie er das gemeint hat mit ›er kommt wieder‹. Gib dich bloß keinen falschen Hoffnungen hin, warne ich mich, deine Zeit hier ist um und ein weiterer Einsatz deiner Person derzeit nicht bewilligt. Hartz IV. Jetzt war ich so froh, den jungen Dingern in der Agentur für Arbeit für ein halbes Jahr entkommen zu sein, und gleich montagfrüh soll ich wieder dort auflaufen. Auflaufen, genau die richtige Vokabel für das Vorhaben. Die lassen einen da regelrecht auflaufen, stranden, wie einen fehlnavigierten Buckelwal am Nordseestrand in brütender Augusthitze. Von allein kommt der da nicht mehr weg. So geht es auch einem Mann mittleren Alters auf dem Arbeitsamt. Hier der altgediente Wal, dort die jungen Sprotten. Da müssten schon viele Sprotten kommen, um den Wal ins Wasser zu schubsen. Meine Sprotte ist Anfang 20, hat gerade die Verwaltungsausbildung abgeschlossen, lustige rote Locken und einen Flatscreen vor dem Näschen und schlug mir doch neulich eine Umschulung vor. Als wären zwei Berufe nicht genug. Was denn noch?! Altenpfleger oder Reiseverkehrskaufmann hatte sie im Angebot. Als würde jemand über mich eine teure Reise buchen. Die Leute hätten doch eher Angst, ich würde mit ihrem Geld Fusel kaufen oder meine eigene Urlaubskasse aufstocken, vielleicht für eine Weltumseglung mit einem selbstgebauten Floß. In mich, vielmehr in mein Äußeres, kann man eben eine Menge hineininterpretieren. Für den einen ein Engel, für den anderen ein Penner. Die Blicke der Leute können mich nicht zum Frisör zwingen. Nie mehr. Das ist beschlossene Sache. Dafür pflege ich meine langen grauen Haare auch intensiv, ich will ja nicht heruntergekommen aussehen. Gleich bietet sie mir noch Blechschlosser an, ging mir damals zudem durch den gewaschenen Kopf. So ein Blödsinn, sagte ich ihr dann vorwegnehmend, so eine Umschulerei hätte ich schon hinter mir. Selbst bei IKEA auf dem Heidenberg hätte ich mich schon beworben, obwohl die mehr Bewerbungspapier täglich erhielten, als sie Bäume für ihre Regale abholzen können, fügte ich frustriert an. Daraufhin sah sie mir zum ersten Mal ins Gesicht, kritisch, einen Penny für ihre Gedanken, und tippte mit ihren kunstvoll bemalten Fingernägeln auf der Tastatur umher. Anschließend spuckte der Drucker als letzte Antwort auf all meine nicht gestellten Fragen eine Adresse aus, und das war die eines gemeinnützigen Trägers. Von da aus gelangte ich dann in die Schreinerei der Behindertenwerkstatt. Wenn mein zweiter Vorname nicht schon Toleranz hieße, lautete er Flexibilität.
     

3
     
    Die Tür von Alfons Büro ist nur angelehnt. Er scheint zu telefonieren. Das typische ›Hmhm. Ja. Hm. Okay, aber ...‹, jetzt wird er ein wenig hektisch, ›das ... nein ... Sie können doch nicht ...‹, der andere scheint die besseren Argumente oder die bessere Stellung zu haben, Alfons Stimme senkt sich, ›Ja, ist gut ... ich werde, ... wie Sie meinen, ... ja, Sie können sich darauf verlassen ...‹, er scheint um den Schreibtisch herumgegangen zu sein und Richtung Fenster zu sprechen, denn jetzt verstehe ich keine Bruchstücke mehr. Wahrscheinlich hat er wieder einen Disput mit dem Träger der Einrichtung über den Einsatz von Mitteln. Alfons hat zwar nicht den ganzen Laden zu verwalten, sondern nur die Schreinerwerkstatt, doch auch das befreit ihn nicht von der betriebswirtschaftlichen Seite. Obwohl er sich eigentlich viel mehr um seine Mitarbeiter kümmern sollte, hat er sehr oft mit der Administration zu tun. Ich
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