Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Duftspur

Duftspur

Titel: Duftspur
Autoren: Sinje Beck
Vom Netzwerk:
herunterzudrücken. Mann, ist der Korb schwer. Der wiegt bestimmt einen Zentner. Vorsichtig schiebe ich meinen rechten Ellbogen zur Klinke. Udo habe ich halb im Blick, nachdem er mir erlaubt hat, dass ich mich schräg zur Tür stelle. Anders wäre es rein ergonomisch nicht möglich gewesen, nur den Versuch zu starten, die Klinke herabzudrücken. Der Stahl des Revolvers glüht jetzt an meiner linken Schläfe. Meine Hände beginnen zu schwitzen. Jede einzelne Kartoffel in dem Drahtkorb hat in der Zwischenzeit ihr Gewicht verdoppelt. Die Muskeln meines Schultergürtels sind zum Zerreißen gespannt wie armdicke Seile, die einen Aufzug halten müssen, in den zehn Pferde geflüchtet sind. Mein Ellbogen nähert sich dem Ende der Klinke und noch immer geschieht nichts. Die Tür ist so zu wie eine soeben verschüttete Grabkammer. Abgeschlossen. Abwärts geht es mit den Pferden im Aufzug. Meine Arme sind so lang, wie der Ärmelkanal breit. Die rauen Griffe des Drahtkorbs hinterlassen tiefe Eindrücke in meinen feuchten Händen. Kirmesmensch Udo wird ungeduldig. Die Erdanziehung auch. Mit aller Kraft entreißt sie mir endlich den Kartoffelkorb. Der knallt Udo vors Schienbein. Schneller als sich sein Zeigefinger krümmen kann, lasse ich mich den eingepackten Kartoffeln hinterher fallen, Erdäpfel sagen die Franzosen. ›...von der Erde wirst du genommen, Asche zu Asche, Staub zu Staub‹, höre ich mein Totenglöckchen läuten. Über mir schlägt die Kugel in die Tür. Ich glaub, ich bin taub. Auf allen Vieren hocke ich im Türrahmen, wie ein Waschbär in der Falle.
     
    Plötzlich hält Udo in seinen Bewegungen inne und erstarrt. Vorsichtig blicke ich ans Ende des Flurs. Napoleon. Seinen Lippen ist etwas abzulesen, das mit ›Waffe weg, Polizei‹, übersetzt werden kann. Neben mir fällt der Revolver zu Boden. Undeutlich dringen wieder Laute durch mein Gehör.
    »Langsam umdrehen«, befiehlt Reimann.
    Ich sehe, wie Udo zur Waffe schielt. Der will sich hier sicher mit einer Geisel rausboxen, pass auf, schreit Kalle. Statt langsam wie befohlen, dreht Udo sich blitzschnell auf seinem Absatz herum. Mit einer Hand will er mich am Kragen packen und mit der anderen die Waffe schnappen. Reimann wird nicht schießen, da er Gefahr laufen kann, einen Zivilisten zu treffen, jagt mir durch den Kopf. Mit einer geschickten Körperdrehung in seine Richtung, dem Mut der Verzweiflung und den verstreuten Kartoffeln gelingt es mir, Udo zu Fall zu bringen. Der ist völlig überrumpelt von seiner Bauchlage, sodass ich ihm schnell mein Knie in die Nieren rammen und die Arme auf dem Rücken verschränken kann.
    Napoleon eilt herbei, um ihm Handschellen anzulegen. Ich bin zwar nicht erschossen worden, doch erliege gleich einem Herzinfarkt.
    Contenance, verlangt der Advokat, auf dessen Anzug kein Stäubchen zu sehen ist, während auf meinem Hemd Spuren von Kartoffelstärke sichtbar werden.
     
    Nachdem auch Udo verhaftet ist, wir den Spießbraten und die Kartoffeln zum Feuer gebracht haben, gesellt sich Reimann zu uns. Die Kämpfer aus Ost und West präparieren sich derweil auf ihren Stuben für den großen Schmaus und tauschen eiserne Rüstungen gegen linnene Gewänder. Außer dem Knacken und Zischen des aufgelegten Holzes ist nichts zu hören, von einem leichten Pfeifen in meinem Gehör einmal abgesehen. Kurt reicht Reimann und mir eine Flasche Bier. Reimann lehnt ab, er sei noch im Dienst. Der Bericht der Gerichtsmedizin läge jetzt vor. Demnach sei Michael nicht an den Folgen des Mauersturzes gestorben. Er habe noch eine kurze Weile gelebt. Anhand der Spurenlage unterhalb der Bastion könne man davon ausgehen, dass Michael beim Versuch des Aufstiegs abgestürzt sei. Eine Kopfverletzung ließe darauf schließen, dass er auf einen spitzen Stein gefallen sei. Udo habe ein umfassendes Geständnis abgelegt.
    »Er ging davon aus, dass Alfons Michael umgebracht hat, und wollte die Leiche verschwinden lassen. Dazu packte er sie in den Koffer und deponierte diesen in dem verlassenen Haus. Ohne Leiche keine Ermittlungen und kein Mordanklage.«
    »War der Boss des Hehlerrings unter den Verhafteten?«, möchte ich noch wissen.
    »Ohne ihren Anwalt reden die kein Wort. Aber, das werden sie noch ... ganz sicher. Die Beweislast ist erdrückend. Im Schließfach des Toten befand sich ein Oktavheft mit aufschlussreichen Einträgen. Wir sind dabei die Kürzel und Symbole zu entschlüsseln. Nur eine Frage der Zeit ...« Reimann gräbt tief in seinen Taschen nach einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher