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Duftspur

Duftspur

Titel: Duftspur
Autoren: Sinje Beck
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den Daumen in den Mund zu klemmen.
    »Süß«, sagt Annegret und wischt sich Reste eines Sahnehäubchens aus dem Gesicht.
    »Genau«, sage ich in die aufkommende Stille, »lasst uns den Kuchen vernichten!«
    »Nicht ohne Kakao«, kommt Alfons herein, eine Palette Vorzugskakao vom nahe gelegenen Bauernhof vor sich her tragend. Gemeinsam räumen wir die Werkbank frei, Annegret pustet den Staub vom Faschingspappgeschirr und Torsten will zu fegen anfangen, wie er es immer tut, wenn sein Arbeitstag zu Ende ist.
    »Jetzt nicht, Torsten«, sagt Alfons, »jetzt wird gefeiert, danach kannst du fegen.« Torsten scheint etwas aus dem Konzept gebracht. Bille drückt ihm eine Tüte Kakao in die Hand, was die passende Reaktion auslöst:
    »Hoch scholl er leben ... Proscht!«
    »Prost!«
    »Wie alt wirst du denn?«, fragt Bille kuchenkauend.
    »Scho wasch fragt man doch nicht«, entrüstet sich Torsten kakaosaugend.
    Ich bin ein wenig verdutzt, denn ich dachte, Alfons hätte erklärt, dass es sich um eine Abschiedsfeier und nicht um meinen Geburtstag handelt.
    »Also«, stammle ich.
    »Heiner möchte sich bei euch allen bedanken, stimmt’s?«, versucht Alfons mir eine Brücke zu bauen.
    »Ja, ihr wart alle so nett zu mir. Es hat mir hier so gut gefallen.«
    Annegret, die sensibelste von allen, lässt die Gabel sinken: »Du gehst? – Das ist gemein!«
    »Er kommt wieder«, versucht Alfons aufzuhalten, was er vor sich hergeschoben hat. Annegret verkneift sich tapfer eine Träne, die befürchtete Flut bleibt aus, weil ich mich beeile zu bestätigen, was für mich selbst eine verblüffende Neuigkeit ist.
    »Mach doch mal einer die Kaschette an«, fordert Torsten, der ein großer Fan von den Brings ist und jeden Titel der Kölschrocker mitsingen kann. Zum Glück lässt Annegret sich schnell ablenken. In Gedanken muss ich Alfons rügen, dass er die Mannschaft der Schreinerei nicht auf meinen Abgang vorbereitet hat. Nun ja, ich bin kein Sozialarbeiter, er wird wissen was er tut oder eben unterlässt, sage ich mir. Bille reißt mich vom Hocker und schon wirbeln wir durch die Sägespäne zu ›Nix för lau‹. Während die Brings resümieren ›Wohin du och jeis, un wat du och deis, du muss berappe‹, dreht sich Bille im Kreis und spielt Primaballerina, na ja, wohl eher Brummkreisel, wobei sie mir den Zeigefinger über ihrem Kopf verdreht. Jetzt muss aber Schluss sein, sonst wird ihr schlecht. Torsten johlt völlig entrückt mit Leuchten in den Augen: »He jitt et jar nix, nix für lau. Sche maache her ne jrosche Schau«, und aus.
    Annegret erdreistet sich wie immer, den Kölschen den Saft abzudrehen und Reinhard Mey aufzulegen. Die anderen sind daran schon gewöhnt und protestieren nicht.
    »Jetzt bin ich dran! Bille tanzt mit Torsten«, bestimmt sie und wir schwofen zu ›Über den Wolken‹. Hätte mir jemand früher einen Blick in die Zukunft gewährt und ich hätte diese Szenen gesehen, ich hätte es nicht glauben wollen. Das dollste daran ist: Ich genieße jeden Augenblick während meiner letzten Stunden in dieser Einrichtung.
    »Ich habe es gemerkt«, flüstert Annegret in mein Ohr. »Du hast nämlich erst im Sommer Geburtstag, im September, du bist Jungfrau«, sie kichert.
    Jungfrau, ein selten dämliches Sternzeichen für einen Mann. In einer Zeit vor dieser Zeit, quasi zur Steinzeit, so kommt es mir vor, als man unter den Kumpels dann was galt, wenn man wenigstens einer Discobekanntschaft pro Wochenende die Vorzüge seines in Liegeposition verstellbaren Fahrersitzes plausibel gemacht hatte, am besten mit Spurenhinterlassung für bessere Beweiskraft. Dann habe ich besonders unter dem Sternzeichen gelitten. Wenn eine in Betracht kommende weibliche Person unbekannter Herkunft noch nicht aufs Klo verschwunden ist, just nachdem sie meinen Vornamen erfahren hat, dann ist sie spätestens bei der für Mädchen damals so wichtigen obligatorischen Frage nach dem Sternzeichen flüchtig geworden, ähnlich einer Sternschnuppe. Als heller Schein, kurzes Aufflammen zu sehen und zack, war sie weg, erloschen und für mich schnuppe. Wie gerne hätte ich Stier, Schütze oder wenigstens Wassermann gesagt, doch meine ehrliche Art hat mich in dieser Hinsicht einige Abenteuer gekostet, na ja, oder erspart. Weiß man’s? Geburtstag. Im Grunde ist er für mich bedeutungslos geworden. Als ich 44 Jahre alt wurde, habe ich beschlossen nicht weiterzuzählen. Wozu auch. Das Altwerden wird ja nicht einfacher und transparenter, indem man es dokumentiert. Ich
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